Herta Mansbacher

Herta Mansbacher wurde am 7. Januar 1885 in Darmstadt – Bessungen geboren. Sie wuchs, wie ihr aus Worms stammender Biograph Prof. Dr. Henry Hüttenbach es formuliert hat, „ in einem materiell gesicherten und gefühlsmäßig ausgeglichenen“ bürgerlichen Familienleben auf. Da sie sich wegen einer Rückgratverkrümmung nicht für eine „gute Partie“ hielt, entschied sie sich für eine berufliche Karriere als Lehrerin. Ihre erste Stelle trat sie zum 1. November 1907 als „Schulverwalterin“ in Worms-Hochheim an. Wenig später wechselte sie als Volks- (heute Grund-) Schullehrerin in die Westendschule.

 Ehemalige Schülerinnen haben sie als streng, aber gerecht charakterisiert. Ihr Bestehen auf Leistung und Disziplin schloss jedoch persönliche Zuwendung nicht aus. „Fräulein Mansbacher“ kümmerte sich um das Wohl ihrer oft aus sozial schwachen Familien stammenden Schulkinder. Während der Hungerjahre des Ersten Weltkrieges teilte sie oft ihr Frühstück oder ihr Mittagessen mit ihnen. Wer aus finanziellen Gründen nicht bei Ausflügen mitfahren konnte, durfte auf Hilfe durch die Lehrerin rechnen. Hüttenbach sieht darin „eine Mischung aus unerfüllten mütterlichen Regungen und sozialem Verantwortungsgefühl“. Politisch stand sie in nationalliberaler Tradition und war seit 1921 Mitglied der Deutschen Volkspartei.

Um sich sammelte sie einen Kreis von Kolleginnen, der Wanderungen unternahm. Als sich dieser Kreis infolge von Eheschließungen und Versetzungen auflöste, vereinsamte sie zunehmend. Für Schüler wurde sie zur eigenwilligen Figur, die bei Wind und Wetter per Fahrrad in die Schule fuhr und dort streng und humorlos ihres Amtes waltete. Doch wurde sie respektiert. Ihre häusliche Liebe galt Katzen, die sie „Bussi“ rief, was zu ihrem Spitznamen wurde. In ihrer Freizeit malte sie gerne.

Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 veränderte sich ihr Umfeld. Immer mehr ihrer Kolleginnen und Kollegen wandten sich der neuen politischen Richtung zu. Schülerinnen begannen, judenfeindliche Redensarten nachzusprechen. Den ihr bisher entgegengebrachten Respekt fühlte sie schwinden. 1935 wurde sie aus dem Unterricht heraus in den Gang gerufen – und kam nicht mehr zurück. Es war das Ende ihrer Tätigkeit als Volksschullehrerin in Worms.

Die veränderte Lebenssituation führte zu einer Neuorientierung. Zwar bot sie in dem 1934 gebildeten jüdischen Kulturverein Vorträge über Themen der deutschen Literatur und Geistesgeschichte an. Zugleich vertiefte sie sich jedoch in jüdische Geschichte und jüdisches Leben. Aus der indifferenten deutschen Staatsbürgerin wurde eine bewusste jüdische Frau. Als die jüdische Gemeinde infolge der Verdrängung jüdischer Kinder aus sämtlichen Schulen im Frühjahr 1935 im Gemeindehaus am Synagogenplatz eine jüdische Bezirksschule einrichtete, stellte sich Frau Mansbacher als Lehrkraft zur Verfügung. Wie der Wormser Rabbiner Rosenberg erkannte sie in der Auswanderung ihrer Schützlinge eine Chance. Es war nicht einfach, dies gegenüber den noch verbliebenen jüdischen Familien durchzusetzen. Hoffnung auf eine Verbesserung der Verhältnisse und Unsicherheit gegenüber fremden Ländern und Sprachen spielten dabei mit.

Kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hatte Frau Mansbacher begonnen, die Namen der Worms verlassenden Juden listenmäßig zu erfassen. So entstand eine Chronik der Auflösung einer der ältesten deutschen Judengemeinden. Auf einen Zettel, der sich erhalten hat, schrieb sie:

Unaufhaltsam fließt der Strom, / Der verlässt das deutsche Land, / Die Stadt mit ihrem schönen Dom, Wo einst seine Wiege stand. / Eine neue Heimat finden / Will er über`m Meere noch. / Eine Existenz zu gründen, / Mög´ es ihm gelingen doch. H. M.“

Als am Morgen des 10. Novembers 1938 in Deutschland die Synagogen brannten, besaß Herta Mansbacher den Mut, sich den Nazibrandstiftern aus Worms und Umgebung entgegenzustellen. Beim zweiten Angriff wurde Frau Mansbacher jedoch zur Seite geschleudert, die Synagoge ging in Flammen auf.

In den folgenden Tagen bemühte sich die Lehrerin, den Schulbetrieb im Gemeindehaus wieder in Gang zu bringen. Für die Schulkinder wurde sie zur Hoffnungsträgerin auf das eigene Überleben. Um bei ihnen zu bleiben, zögerte sie mit der eigenen Auswanderung. Bei Kriegsausbruch 1939 besuchten noch 15 Kinder die Schule, die 1941 auf staatliche Anordnung schließen musste. Frau Mansbacher suchte im Jüdischen Altersheim an der Stelle des heutigen Raschi-Hauses zu helfen. Und in jeder freien Minute arbeitete sie an ihrer Auswanderungsliste.

Am Donnerstag, dem 19. März 1942, versammelte sich auf behördliche Anordnung vor der Synagogenruine eine Gruppe von Wormser Juden. Unter ihnen waren neben Herta Mansbacher auch einige ihrer Schüler. Mit vorgeschriebenem Gepäck wurden sie von der Polizei zum Güterbahnhof geführt. Dort bestiegen sie einen Zug zu einer Fahrt ohne Wiederkehr. Laut Einwohnermeldekarte war Herta Mansbacher „ohne Angabe eines Reisezieles abgereist“. Die „Reise“ war eine Deportation. Sie führte über Mainz nach Piaski in Polen nahe Lublin. Dort verliert sich ihre Spur. Herta Mansbacher wurde vermutlich im Vernichtungslager Belcek ermordet.

In der wieder aufgebauten Synagoge erinnert im Frauenteil eine Bronzeplakette an die tapfere Frau. Die Anlage vor der nördlichen Stadtmauer wurde in „Herta-Mansbacher-Anlage“ umbenannt. Neben dem Osteingang der Westendschule weist eine Tafel auf die ermordete Lehrerin hin.

Bearb. Fritz Reuter;

Doku. Schlösser, Mansbacher; Henry R. Hüttenbach, Herta Mansbacher. Porträt einer jüdischen Lehrerin, Heldin und Märtyrerin Worms 1981 (Wormsgau-Beiheft 27);

 Fritz Reuter, „Wissen Sie eigentlich, wer Herta Mansbacher war?“, in: Sachor. Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz. Hrsg. Mathias Molitor und Hans-Eberhard Berkemann in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz.10. Jg., Ausgabe 2/00, Heft 19, S. 22-26;

 verlesen von Dr. Ulrich Oelschläger.

Der Stein liegt vor dem Haus Adenauerring 6, ehem. Moltkeanlage 6