2024

Rückblick

Freitag, 22. November 2024: Stolperstein-Verlegung in Worms

Es wurden Steine für 22 Wormser Opfer des Holocausts an 10 verschiedenen Adressen verlegt. Gunter Demnig nahm die Verlegung persönlich vor. Nach dieser 18. Wormser Verlegung erinnern mehr als 300 Stolpersteine an ehemalige Wormser Bürgerinnen und Bürger. Die Verlegung war wie immer öffentlich.

Das Besondere an der diesjährigen Verlegung in Worms war, dass sich 24 Nachfahren und Familienangehörige aus USA dazu angekündigt hatten – darunter Kinder, Enkel und Urenkel von Flora, Edith und Suse Herz, von Arthur, Alice, Paul und Heinz Ebert. Eine Dame hatte sich aus USA angekündigt, um der Verlegung des Stolpersteins für ihren Onkel Werner Smith beizuwohnen, der als Kleinkind Opfer der T4 Aktion wurde. Leider konnte sie aus gesundheitlichen Gründen die Reise nicht antreten; ihre Wormser Cousine verlas den von ihr vorbereiteten Text.

Ehemalige Wormser Bürgerinnen und Bürger, für die am 22.11.2024 Stolpersteine verlegt wurden, konnten als Kinder, Jugendliche oder Erwachsene vor der Verfolgung durch das NS-Regime ins Ausland fliehen, ein Mädchen hatte dank Kindertransport jahrelang bei einer fremden englischen Pflegefamilie überlebt, eine Mutter überlebte mit ihrer Tochter mehrere Lager und sie wurden am Ende des Krieges befreit, andere wurden ermordet.

Zu den Familienangehörigen aus USA hatte Warmaisa entweder durch eigene Recherche Kontakt herstellen können oder die Familienangehörigen hatten ihrerseits gezielt den Kontakt zur Stolpersteingruppe Warmaisas gesucht. Alle Gäste aus USA haben bewusst den Kontakt zu Worms wieder aufgenommen – zu der Stadt, aus der ihre Vorfahren geflüchtet waren, vertrieben oder verschleppt wurden. Sie haben bewusst den Kontakt zu uns Wormsern gesucht und wir haben sehr bewegende Tage miteinander erlebt. Warmaisa hat die Gäste durch Worms und Osthofen geführt, wir haben uns in persönlichen Gesprächen ausgetauscht und in großer Runde und herzlicher Atmosphäre gemeinsam gegessen.

Bei eisiger Kälte hatte Frau Bürgermeisterin Stephanie Lohr die Stolperstein-Verlegung um 9:00 Uhr eröffnet und auch eine Stunde später wehte noch ein schneidender Wind durch die Wormser Fußgängerzone, als Frau Ministerialdirektorin Katharina Heil stellvertretend für Ministerpräsident Alexander Schweitzer ihre Ansprache hielt. Sie betonte ihre besondere Wertschätzung gegenüber den vielen US-amerikanischen Familienangehörigen und gegenüber den Schülerinnen und Schüler der Karmeliter-Realschule Plus, die einige biografische Texte vortrugen. Sie bedankte sich auch bei Warmaisa für unsere Stolperstein-Aktivitäten.

Die Nachfahren beteiligten sich aktiv an der Verlegung, indem sie – innerlich sehr bewegt – die Lebens- und Leidenswege ihrer Vorfahren an den letzten frei gewählten Wormser Wohnstätten ihrer Vorfahren schilderten. Damit gaben sie der diesjährigen Stolperstein-Verlegung eine ganz besondere Atmosphäre.

Foto: Manfred Dröge

Foto: Manfred Dröge

Stationen der Stolperstein-Verlegung

  • Hintere Judengasse 6: 1 Stein für Emma Esther Oppenheimer,
  • Friedrichstr. 10: 2 Steine für Sigmund und Rosa Mayer,
  • Kämmererstr. 10: 3 Steine für Flora, Edith und Suse Margot Herz,
  • Obermarkt 12: 1 Stein für Elise Reis,
  • Wilhelm-Leuschner-Str. 24: 4 Steine für  Bernhard, Esther, Theodor und Friedel Reichmann,
  • Siegfriedstr. 40: 3 Steine für Siegfried, Eugenie und Werner Sigmund May,
  • Gymnasiumstr. 6 u. 7: 3 Steine für Eugen Löb, Hedwig und Erna Katharina Löb,
  • Sickingenstr. 18: 1 Stein für Werner Smith,
  • Hochheimerstr. 19: 4 Steine für Arthur, Alice, Paul und Heinz Ebert

Am 25.11.2024 erschien Ulrike Schäfers Artikel in der Wormser Zeitung:

Bewegende Berichte

Erinnerung an Nazi-Opfer: 22 weitere Stolpersteine in der Stadt verlegt / Zahlreiche Familien aus den USA angereist.

WORMS . Schon immer mal waren Nachfahren geflüchteter oder ermordeter Wormser Juden bei Stolpersteinverlegungen dabei, auch Schüler hatten schon Kurzbiografien an Stolpersteinen verlesen, aber dieses Mal, bei der 18. Verlegung, war alles noch ein bisschen größer, intensiver. Inga May, Schriftführerin des Vereins Warmaisa, der seit 2006 die Stolpersteinverlegungen organisiert, hatte Kontakt zu mehreren jüdischen Nachfahren aus USA aufgenommen, mit dem Ergebnis, dass bereits am Vortag 20 Kinder, Enkel und Urenkel angereist waren. Ihren Aufenthalt in Worms hatte May perfekt organisiert. So führte Warmaisa-Mitglied Michael Steiner die amerikanischen Gäste durch das jüdische Worms, auf den Heiligen Sand und den neuen israelitischen Friedhof auf der Hochheimer Höhe, wo die Eltern der Familie Albert und Flora Herz begraben sind. Abends traf man sich zum gemeinsamen Abendessen. „Es war eine sehr lockere, freundliche Atmosphäre“, berichtet die stellvertretende Warmaisa-Vorsitzende Katharina Drach.

Am Freitagmorgen sammelte sich eine große Menschenschar, darunter zwei Parallelklassen der Karmeliter-Realschule plus mit ihrer Lehrerin Joana Vogt, vorm Raschihaus und wurde begrüßt von Bürgermeisterin Stephanie Lohr, der selbst das Gedenken an die Wormser Juden ein großes Anliegen ist. Mit dem erschütternden Gedicht „Leon Wolke“ von André Heller machte Manfred Dröge, Warmaisa, den Sinn der Stolpersteinverlegung noch einmal sehr deutlich: Die Menschen, die grausam verschleppt, ermordet oder aus der Heimat vertrieben wurden, dürfen nicht vergessen werden. Liebevoll hatte Dröge Daten über Emma Esther Oppenheimer zusammengetragen, über die fast nichts bekannt ist. Sie kam erst 1939 mit 73 Jahren nach Worms und wohnte im jüdischen Altersheim. Im September 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und ermordet. Vor der ehemaligen Eisenwarenhandlung Herz in der Kämmererstraße 10 wurde am längsten Station gemacht. Hier verlegte der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine für Flora Herz und ihre Töchter Edith und Suse Margot – einen Stein für Vater Albert Herz gibt es bereits. Jerry Lucas und Ruth Finegold, die Kinder Ediths, berichteten eindringlich, wie Mutter und Großmutter die Hölle mehrerer KZs und des Todesmarsches überlebt hatten. Elaine Peizer, die Tochter von Suse Herz, verlas, wie ihre Mutter als Achtjährige mit dem Kindertransport nach England geschickt wurde und erst später in den USA Mutter und Schwester wiederfand. Die bewegenden Berichte wurden jeweils in deutscher Sprache von Schülerinnen und Schülern der Karmeliter-Realschule vorgetragen, und sicher war das für diese jungen Menschen ein eindrucksvolles Erlebnis. Während der Lesung ging es ringsum geschäftig und geräuschvoll zu, und das Mikrofon funktionierte nicht. Die Polizei, die die Verlegung über den Morgen begleitete, half mit einem Megafon aus. Das klappte gut.

Insgesamt wurden an diesem Morgen 22 Steine verlegt, jeder Zeugnis eines unmenschlichen Schicksals. Die amerikanischen Besucherinnen und Besucher waren immer dabei bis zur letzten Verlegung in der Hochheimer Straße 19, wo die Familie Arthur und Alice Ebert mit den Söhnen Paul und Heinz zuletzt gewohnt hatte. Den Erberts gelang, nachdem sie ihre beiden gut florierenden Papierwerke in Osthofen und Hannover und auch ihr schönes Wohnhaus zu einem Spottpreis hatten verkaufen müssen, noch rechtzeitig die Flucht in die USA. Jeff Ebert, Sohn von Paul Ebert, der mit seinen Kindern und Enkeln und seiner Schwester Renee Hillman und deren Ehemann anwesend war, las vor, welches große Unrecht seinen Großeltern widerfahren war.

Kein Jude war Werner Smith. Er wurde im Alter von drei Jahren in der „Kinderfachabteilung“ Kalmenhof/Idstein ermordet, weil er geistig behindert und somit „unerwünscht“ war. Seine Nichte Ulrike Smith, die erkrankt war und sich durch eine Freundin vertreten ließ, hatte erst durch einen Zufall erfahren, dass es den kleinen Jungen gegeben hatte. Die Entdeckung, dass er ermordet worden war, habe sie traurig und wütend gemacht, schrieb sie. Sie habe die Verlegung eines Stolpersteins für Werner vorangetrieben, um die Existenz dieses Kindes zu bezeugen.

„Man kann nur Lehren ziehen aus dem, was man nicht vergisst“, lautet der letzte Satz im Gedicht „Leon Wolke“. Mit über 300 Stolpersteinen Warmaisa versucht, den verfolgten, ermordeten oder geflüchteten Juden einen Platz im Gedächtnis der Wormserinnen und Wormser zu geben.“ von Ulrike Schäfer

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SchUM Kulturtage in Worms mit Unterstützung durch Warmaisa:

THE SHVESTERS – schillernd und unverwechselbar

Dienstag, 19. November 2024, 20:00 Uhr, Chateau Schembs, Herrnsheimer Hauptstr. 52, 67550 Worms

Zitat aus dem Programm der SchUM Kulturtage 2024, https://schumstaedte.de/schum/schum-kulturtage/ :

„Sie verwandeln klassische jiddische Melodien in anspruchsvolle,
zeitgenössische, harmonische Jazz-Arrangements.
Die Shvesters (Chava Levi und Polina Fradkin) sind
ein jiddisches Gesangsduo, das ursprünglich aus
Detroit, Michigan, stammt. Sie haben sich in den sozialen
Medien einen Namen für ihre perfekt synchronisierten
Stimmen (und passenden Outfits) gemacht
– und die Herzen der Zuschauer erobert.
Begleitet werden The Shvesters von dem außergewöhnlichen
Gitarristen Omri Bar Giora.“

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Kinofilm „DER SCHATTEN DES KOMMANDANTEN“ in der Kinowelt Worms

Dokumentarfilm mit Anita Lasker-Wallfisch und ihrer Tocher sowie dem Sohn und Enkel des Kommandanten des KZs Auschwitz Rudolf Höß

Dienstag, 5. November 2024, 10:00 Uhr für Schüler und Schülerinnen, Abendveranstaltung 18:00 Uhr, Eintritt frei

120 Schülerinnen und Schüler aus den Klassenstufen 7 bis 10 aus der Pfrimmtal-Realschule Plus, dem Eleonoren-Gymnasium und der Karmeliter-Realschule Plus besuchten mit ihren Lehrerinnen und Lehrern die Filmvorführung am Vormittag. Der Kinosaal war gut gefüllt. Nach dem Film nutzten die jüngsten Schülerinnen und Schüler des Eleonoren-Gymnasiums die Möglichkeit zur Diskussion mit den Lehrern und Lehrerinnen.

Auch die Abendvorführung war gut besucht und alle Besucherinnen und Besucher verließen sichtlich angefasst den Kinosaal.

Nur 17 Tage später wurde den beiden Wormser Überlebenden des KZ Auschwitz Edith und Flora Herz im Rahmen der Stolpersteinverlegung gedacht. Siehe hierzu Bericht zur Stolperstein-Verlegung am 22.11.2024 und Zeitungsartikel von Ulrike Schäfer (Wormser Zeitung 4.10.2024) über die Zusammenarbeit mit der Karmeliter Realschule Plus Worms.

Warner Bros. Pictures und HBO Documentary Films präsentieren die berührende und hochaktuelle Dokumentation „Der Schatten des Kommandanten“ der Filmemacherin Daniela Völker. Der Film erzählt die Geschichte von Rudolf Höß’ 87-jährigem Sohn Hans Jürgen Höss, der sich zum ersten Mal mit dem grausamen Vermächtnis seines Vaters auseinandersetzt. Rudolf Höß war Kommandant des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz und verantwortlich für die Ermordung von mehr als einer Million Jüdinnen und Juden. Das Leben von Höß und seiner Familie wurde kürzlich in dem Oscar®-prämierten Film „The Zone of Interest“ dargestellt. Nun berichtet „Der Schatten des Kommandanten“ von den echten Menschen, die in Höß’ Todeslager gelebt haben.
Während Hans Jürgen Höss eine glückliche Kindheit in der Villa seiner Familie in Auschwitz verbrachte, kämpfte die jüdische Gefangene Anita Lasker-Wallfisch in dem berüchtigten Lager ums Überleben. Im Mittelpunkt des Films steht der inspirierende historische Moment, in dem sich die beiden, acht Jahrzehnte später, von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Es ist das erste Mal, dass ein Nachkomme eines bedeutenden Kriegsverbrechers und eine Überlebende sich in einem so persönlichen und intimen Rahmen begegnen – nämlich in Lasker-Wallfischs Wohnzimmer in London. Gemeinsam mit ihren Kindern, Kai Höss und Maya Lasker-Wallfisch, beschäftigen sich die vier Protagonisten mit den sehr unterschiedlichen Lasten, die sie aufgrund ihrer Herkunft tragen.
Der Film präsentiert Originalauszüge aus Rudolf Höß’ lange vergessener Autobiografie, die er kurz vor seiner Hinrichtung verfasste. Die darin enthaltenen Aussagen, dokumentiert durch den Täter persönlich, sind der ultimative Beweis dafür, was wirklich in Auschwitz geschah. Sie bilden somit ein bedeutsames Gegengewicht zur Leugnung und Ignoranz der Geschehnisse des Holocaust.
Der außergewöhnliche abendfüllende Dokumentarfilm beschäftigt sich mit der Beziehung einer Mutter zu ihrer Tochter, eines Vaters zu seinem Sohn und nicht zuletzt mit den langen Schatten, die Verbrechen auf nachfolgende Generationen werfen. Dabei wirft „Der Schatten des Kommandanten“ Fragen über Liebe, Schuld und Vergebung auf, erzählt letztlich aber auch eine dringend benötigte Geschichte von Hoffnung, Akzeptanz und Mitgefühl.
Nach den Gräueltaten im Zuge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 – und in einer Zeit, in der der Antisemitismus ein Ausmaß erreicht hat, das es seit dem Holocaust nicht mehr gegeben hat – erinnert „Der Schatten des Kommandanten“ eindringlich daran, dass es keine Versöhnung geben kann, wenn die Vergangenheit nicht ehrlich aufgearbeitet wird. Erst wenn das gelingt, lässt sich eine Wiederholung der Geschichte vermeiden und damit eine bessere Zukunft gestalten.
„Der Schatten des Kommandanten“ wurde von Daniela Völker geschrieben, inszeniert und gemeinsam mit Gloria Abramoff produziert. Wendy Robbins, Neil Blair, Jonathan Blair, Matti Leshem, Joel Greenberg, Len Blavatnik, Danny Cohen, Sajan Raj Kurup, Jani Guest und Jamie Jessop waren als ausführende Produzenten an dem Filmprojekt beteiligt.
Zu Völkers Kreativteam gehörten die Kameraleute Rob Goldie und Piotr Trela, die Editorin Claire Guillon und der Musikkomponist Gabriel Chwojnik.
Warner Bros. Pictures präsentiert gemeinsam mit HBO Documentary Films eine Produktion von Snowstorm/Creators Inc. in Zusammenarbeit mit New Mandate Films: „Der Schatten des Kommandanten“ von Daniela Völker. Den Kinovertrieb übernimmt Warner Bros. Pictures.

Über die Beteiligten
Anita Lasker-Wallfisch kam 1925 in Breslau als Tochter einer jüdischen Familie auf die Welt. 1943 wurde sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie Mitglied des Mädchenorchesters wurde. Als die Rote Armee anrückte, wurde sie nach Bergen-Belsen gebracht und im April 1945 von britischen Truppen befreit. Im folgenden Jahr zog Anita Lasker-Wallfisch nach London. Dort begann sie eine Karriere als Cellistin
und gehörte zu den Gründungsmitgliedern des English Chamber Orchestra. 1995 veröffentlichte sie ein Buch über ihre Erfahrungen im Nationalsozialismus. Sie engagiert sich als Aktivistin gegen Antisemitismus und für die Aufklärung über den Holocaust.
Maya Lasker-Wallfisch ist das jüngste Kind und die einzige Tochter von Anita Lasker-Wallfisch. Sie wuchs in London auf und schlug eine Laufbahn als Psychotherapeutin mit Spezialisierung auf Traumata ein. Als Tochter einer Holocaust-Überlebenden begann sie, sich mit den Herausforderungen zu beschäftigen, mit denen sich die zweite Generation konfrontiert sieht. In zwei Büchern, die in Deutschland erschienen sind, erzählt sie von ihrer Familiengeschichte und wie diese sie beeinflusst hat. 2021 zog Maya Lasker-Wallfisch nach Berlin, wo sie sich in der Holocaust-Aufklärung engagiert und damit das Werk ihrer Mutter fortsetzt.
Hans Jürgen Höss wurde 1937 als viertes von fünf Kindern in Dachau geboren. Im Alter von drei bis sieben Jahren lebte er in einer Villa direkt neben dem Konzentrationslager Auschwitz, in dem sein Vater Kommandant war. Später zog seine Familie in das Konzentrationslager Ravensbrück um. Als die Rote Armee anrückte, floh die Familie nach Norddeutschland, wo Hans Jürgen Höss den Rest seiner Kindheit und seine Jugend verbrachte. Danach ging er nach Süddeutschland und arbeitete bis zu seiner Pensionierung für Auto- und Lkw-Händler. Er interessiert sich noch immer für Autos.
Kai Höss, Hans Jürgen Höss’ ältestes Kind, wuchs in Süddeutschland auf. Nach der Schule verpflichtete er sich bei der Bundeswehr, bei der er eine Ausbildung im Hotel- und Gastronomiebereich absolvierte. Er wohnte in Großbritannien, Asien und den USA, ehe er nach Deutschland zurückkehrte. Hier lebt er heute mit seiner indonesischen Frau und seinen vier Kindern. Er ist Pastor einer englischsprachigen Bibelgemeinde, die sich an Angestellte von US-Militärbasen und andere Auswanderer wendet. Außerdem absolvierte er einen Masterstudiengang.
Über die Filmemacherin
Die in London ansässige deutsch-argentinische Filmemacherin Daniela Völker hat Dokumentationen im Serien- und Langfilmformat, unter anderem für Netflix, CNN, PBS, BBC, National Geographic, ITV, ZDF und France Télévisions, gedreht. Ihre Werke befassen sich mit unterschiedlichen Themen, darunter die Herausforderungen des gesellschaftlichen Miteinanders nach dem Völkermord in Ruanda oder die verheerenden Auswirkungen des „Schmutzigen Krieges“ während der Militärdiktatur in Argentinien in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren. Völker begann 2020 mit der Arbeit an der Dokumentation, als sie mit Maya Lasker-Wallfisch über deren Erfahrungen mit generationenübergreifenden Traumata als Tochter einer Holocaust-Überlebenden ins Gespräch kam.

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Vereinsausflug nach Landau und zum jüdischen Friedhof in Ingenheim

Sonntag, 20. Oktober 2024

In Landau wird das Frank-Loebsche Haus besucht und in Ingenheim der jüdische Friedhof.

Das Frank-Loebsche Haus ist ein Kunst- und Ausstellungshaus mitten in Landau, das nach einem Urgroßvater von Anne Frank benannt ist. Er hatte dieses Haus 1870 erworben und seine Familie bewohnte es bis zur Enteignung in der Nazi-Zeit. Heute wird es vom Kulturnetz Landau e.V. und vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Kaiserslautern-Landau genutzt. Die Dauerausstellung informiert über die Geschichte des Hauses und der Familie Frank Loeb. Das Haus ist nicht barrierefrei, die Dauerausstellung befindet sich im 1. Obergeschoss.

In Ingenheim wird Herr Ralf Piepenbrink, der ehemalige protestantische Pfarrer von Billigheim-Ingenheimim einen fundierten Einblick in die ehemalige jüdische Gemeinde Ingenheim geben und über den Jüdischen Friedhof führen. Er ist ein ausgesprochener Kenner der Materie. Teilnehmende Herren werden gebeten, eine Kopfbedeckung zu tragen.

Treffpunkt für den Ausflug: 20. Oktober 2024, um 9:00 Uhr an der Reisebus-Haltestelle in der Hagenstraße Worms, Abfahrt um 9:10 Uhr. Auf dem Parkplatz am Stadion kann zugestiegen werden, dort Abfahrt um 9:20 Uhr. Rückkehr nach Worms ca. 17:15 Uhr.

Um die Mittagszeit findet eine Pause zur eigenen Verfügung oder zu einem gemeinsamen Essen vor Ort statt.

Foto: Guido Fronhäuser

Foto: Rolf Ochßner

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Dieser Artikel zur Zusammenarbeit Warmaisas mit der Karmeliter Realschule Plus in Worms könnte Sie interessieren:

Am 4.10.2024 schrieb unser Vereinsmitglied Ulrike Schäfer folgenden Artikel in der Wormser Zeitung:

WORMS . Am 22. November, ab 9 Uhr, werden wieder Stolpersteine in Worms verlegt, 22 an insgesamt zehn Orten. Wie immer hat der Verein Warmaisa recherchiert, wo Menschen lebten, die in der NS-Zeit verschleppt und ermordet wurden oder fliehen mussten. Die Dokumentation von Karl und Annelore Schlösser ist dabei nach wie vor eine wichtige Grundlage. Die Stolperstein-Gruppe nutzt aber auch andere Quellen, um mehr über die meist jüdischen Opfer zu erfahren.

Für gerettete Schwestern ein Wiedersehen in den USA

Inga May, Schriftführerin von Warmaisa und Mitglied der Gruppe, berichtet, dass sie im Bundesarchiv nachforscht, Standesämter um Geburts- und Heiratsurkunden anfragt, Adressbücher durchsieht, Einsicht in Häftlingsprotokolle nimmt und anderes mehr. Besonders ergiebig ist es, wenn sich Kontakte zu Überlebenden ergeben. Derzeit hat sie einen lebhaften Austausch mit Suse Rosenstock, die wie ihre Mutter Flora Herz und ihre Schwester Edith Lucas-Pagelson überlebte. Suse hat 1996 in einem Interview geschildert, dass ihre verzweifelte Mutter das damals achtjährige Mädchen – nach den schlimmen Erfahrungen in der Reichspogromnacht – 1939 in einen Zug nach England setzte, um ihr Leben zu retten.

Die ältere Schwester Edith, die zunächst in Worms blieb, überlebte eine kaum vorstellbare Reise, die nach Theresienstadt und von dort über Auschwitz/Birkenau und Stutthof an die russische Front führte. Beide Schwestern und Mutter Flora sahen sich wieder in USA und konnten sich dort ein gutes Leben aufbauen. Edith, die im Oktober 2023 verstorben ist, hat unermüdlich in Schulen, Universitäten, Synagogen und kommunalen Einrichtungen ihre Geschichte der „Verfolgung, des Schreckens, der Resilienz und der Wiedergeburt“ erzählt in der Hoffnung, damit die Haltung von jungen Menschen beeinflussen zu können. Nachkommen der Schwestern werden bei der Verlegung der Stolpersteine für Flora, Edith und Suse Herz dabei sein.

Über die Familie Herz kam Inga May auch in Kontakt mit den Familien Ebert und May. „Die kannten sich alle“, sagt sie. „Sie mussten ja während der Nazi-Diktatur näher zusammenrücken und unterstützten sich auch gegenseitig. Viele trafen sich dann in den USA wieder.“ So werden auch Nachfahren weiterer Familien zum 22. November nach Worms kommen.

Lebensgeschichten der Menschen werden vorgelesen

Für die Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse der Karmeliter-Realschule plus wird diese Verlegung etwas Besonderes sein. Sie werden an einzelnen Stationen Texte zu den Lebensgeschichten der Menschen, an die erinnert werden soll, lesen und nach Möglichkeit auch mit den Nachfahren sprechen können. Motor für diese Begegnung ist Lehrerin Joana Vogt. Sie hatte bereits im vergangenen Jahr die zwei 10. Klassen in Geschichte. „Sie wollten damals unbedingt ihren ersten Ausflug in die Gedenkstätte Osthofen machen. Das fand ich schon sehr erstaunlich“, sagt sie. Sie hatte dann die Idee, mit den Schülern Stolpersteine der Innenstadt zu putzen. „So kam der Kontakt zu Warmaisa zustande. Patrick Mais, der damalige Vorsitzende, hat uns sogar Putzmittel zur Verfügung gestellt“, erzählt sie. „Alle Schüler, auch die muslimischen, haben mitgemacht. Keiner hat sich geweigert. Besonders begeistert waren sie, als sie bei ihrer Putzaktion den Vereinsgründer, Roland Graser, getroffen haben“, erinnert sie sich lächelnd.

„Warmaisa hat uns dann auch eine Fahrt ins ehemalige KZ Natzweiler-Struthof im Elsass komplett finanziert.“ Inga May, die die Klassen begleitete, sagt, sie sei überrascht gewesen, wie freundlich der Umgang der Schülerinnen und Schüler miteinander war. Sie fand auch den Zugang zu diesem schwierigen Thema sehr gelungen, denn Joana Vogt hatte den Jugendlichen zur Vorbereitung Texte aus dem Lager gegeben, die sie dort vorlesen konnten. Schulleiter Günther Barth bestätigt das gute Miteinander der Schüler, die größtenteils aus unterschiedlichen Kulturen stammen. „Darauf bin ich wirklich stolz.“

Die Zehnten vom vergangenen Jahr haben mittlerweile die Schule verlassen. Für die kommende Stolpersteinverlegung haben die neuen Zehnten selbst noch keine Recherchen angestellt. Das ist aber unbedingt ein Lernziel für das laufende Schuljahr, bekräftigt der Schulleiter, der selbst Geschichte studiert hat und die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema verstetigen möchte. Unterstützung wird die Schule dabei sicher von Inga May haben. Am 11. November aber werden die Schülerinnen und Schüler sich erst einmal putzend und wienernd mit vorhandenen Stolpersteinen beschäftigen.

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Neuer Vorstand seit der Mitgliederversammlung vom 21.05.2024:

1. Vorsitzender: Gerhard Schwab

2. Vorsitzende: Katharina Drach

Schatzmeister: Rudolf Hauser

Schriftführerin: Inga May

Beisitzer: Michael Steiner und Guido Frohnhäuser

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Dieser Artikel zu umgekippten Grabsteinen auf dem Heiligen Sand könnte Sie interessieren:

Am 2.4.2024 schrieb unser Vereinsmitglied Ulrike Schäfer folgenden Artikel in der Wormser Zeitung:

„Absperrband als Lösung“

„Absperrband als Lösung Niemand kümmert sich um den auf dem Heiligen Sand umgefallenen Granit-Grabstein der Familie Kuhn / Jetzt weiterer Stein umgekippt Von Ulrike Schäfer WORMS. Der Heilige Sand liegt in der warmen Frühlingssonne. Zart schimmern die Blätter der alten Bäume. Das Gras, sorgfältig gepflegt, leuchtet in saftigem Grün. Einzelne Besucher folgen den Wegen, bleiben da und dort stehen, um sich in das schöne Bild zu vertiefen, genießen die Ruhe, die die ehrwürdige Begräbnisstätte ausstrahlt. Dr. Josef Mattes, ehemaliger Vorsitzender des Altertumsvereins, der mit diesem Ort bestens vertraut ist, geht an diesem Nachmittag aus einem besonderen Grund hierher. Er will nachschauen, ob der große schwarze Granit-Grabstein der Familie Kuhn, der umgestürzt war und dabei den Stein davor verschoben hat, wiederaufgerichtet ist. 1673 Grabsteine auf älterem Friedhofsteil sind erfasst Lange bevor die SchUM-Stätten 2022 als Unesco-Welterbe anerkannt wurden, hat sich der Altertumsverein intensiv für den Erhalt und die Erforschung des Friedhofs eingesetzt und dafür auch erhebliche Mittel aufgewendet, denn der Heilige Sand ist wegen seines Alters – der älteste bisher entdeckte Grabstein stammt aus dem Jahr 1058/1059 –, wegen der Jahrhunderte langen, ununterbrochenen Belegung, den Grabmälern berühmter Persönlichkeiten und wegen des beispiellos reichen Inschriftenmaterials nicht nur für die jüdische Welt von großer Bedeutung. Dass dieses wertvolle Material erschlossen wird und erhalten bleibt, war schon früheren Generationen ein Anliegen. 1854 erfasste der Rabbiner und Historiker Ludwig Lewysohn eine Auswahl von Inschriften auf den Grabsteinen. Julius Rosenthal und Samson Rothschild führten ab 1893 die Arbeit fort beziehungsweise vertieften sie. Durch sie wissen wir von Steinen, die heute nicht mehr existieren. In den letzten 20 Jahren hat sich der Judaist, Professor Dr. Michael Brocke vom Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen, damit beschäftigt und sämtliche noch vorhandenen 1673 Grabsteine auf dem älteren Teil des Friedhofs erfasst und, soweit es wegen fortschreitender Verwitterung möglich war, auch entziffert. Diese Arbeit war nur erfolgreich, weil Mitglieder des Altertumsvereins und des Vereins Warmaisa mehrfach mit warmem Wasser und weichen Bürsten Moos und Flechten von vielen Grabsteinen entfernten, sodass sie fotografier- und lesbar waren. „Wir haben das immer in Absprache mit Jüdischen Gemeinde Mainz, zu der auch Worms gehört, gemacht und auch mit der Denkmalpflege abgeklärt“, sagt Josef Mattes. „Rabbiner Aharon Vernikovsky hatte auch nie Einwände.“ Doch heute will niemand mehr etwas davon wissen. Seit der Antragstellung auf Welterbe sei die Reinigung der Steine nicht mehr erlaubt, bedauert Mattes. Man begründe das mit der jüdischen Vorschrift, Veränderungen an den Steinen würden die Totenruhe stören. Ob das eine Tradition oder ein im jüdischen Gesetz festgelegtes Gebot sei, wisse er nicht. Längst sind die Steine wieder mit Moos überzogen. „Das ist vor allem so der Fall bei den Grabmalen vor dem Wall, auf dem sich der neuere Teil des Friedhofs befindet“, erläutert Mattes. „Hier staut sich die Feuchtigkeit, was zur raschen Vermoosung beiträgt.“ Doch noch mehr als der erneute Bewuchs der Steine bekümmert den 85-Jährigen, dass umgefallene Steine nicht wieder aufgerichtet werden wie das Grabmal der Familie Kuhn. Es liegt immer noch im Gras, wie er enttäuscht feststellt. Man kann nicht einmal lesen, um welche Kuhns es sich handelt, weil der Stein mit der Schriftseite nach unten liegt. Er habe sich schon an alle möglichen Stellen mit der Bitte um Abhilfe gewendet, erzählt Mattes, aber nichts sei passiert. Man hat die Gefahrenstelle lediglich durch ein Absperrband gesichert. Sandstein der Witwe des Märtyrers Mosche Halevi Auf dem Rückweg entdeckt Mattes einen weiteren Stein, der umgefallen ist. Dieses Mal handelt es sich um einen rötlichen Sandstein, der wohl kein Fundament hatte. Er wurde laut Brocke für die betagte Witwe Mina, die Tochter des Märtyrers Mosche Halevi, aufgestellt, die 1417 verstorben ist. Derzeit sind Umrandung und Inschrift wieder von Moos überwuchert. Auch das wird Mattes den verantwortlichen Stellen nun mitteilen und hofft, dass bald etwas geschieht. Die sämtlichen von Professor Brocke erfassten Steine sind mit Inschrift, Erläuterung und Foto im epidat-Archiv des Steinheim-Instituts zu finden. Die Forschungsergebnisse in Buchform, vom Altertumsverein finanziert, werden schon seit Längerem sehnsüchtig erwartet. Josef Mattes ist optimistisch, denn er hat die Zusage, dass die Publikation in nächster Zeit endlich erscheinen wird.“

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Ausflug der 10. Klassen der Karmeliter-Realschule plus zum KZ Struthof im Elsass am 14.03.2024

Artikel von Frau Joana Vogt, verantwortliche Lehrerin der Karmeliter-Realschule plus in Worms:

„Schüler der Karmeliter Realschule plus besuchen das KZ Struthof

Zur Zeit wird in den 10. Klassen der KRS+ das Thema Nationalsozialismus behandelt. Seit Beginn dieses Themas zeigten die Schülerinnen und Schüler ein großes Interesse an der gesamten Thematik. Auf Grund dessen knüpfte die Lehrerin Frau Vogt bereits am 9. November 2023 den Kontakt mit der Warmaisa e.V.  als zum Gedenktag der Reichskristallnacht die Stolpersteine in der Stadt von den Schülerinnen und Schülern gesäubert wurden. Als die Warmaisa erfuhr, dass eine Fahrt in KZ Struthof/Natzweiler geplant wird, wurde sich sofort bereit erklärt der Schule diese Exkursion komplett zu finanzieren.

Am 14. März 2024 fuhren nun die 10. Klässler nach Natzweiler und besuchten dort die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers. Von ihren Lehrern angeleitet, durchliefen die Schülerinnen und Schüler die Wege, welche die Häftlinge damals bewerkstelligen mussten und besuchten ehemalige Baracken, unter anderem die Krematoriumsbaracke und die Gefängnisbaracke. Die Lernenden waren an manchen Stellen sehr betroffen, stellten aber auch sehr viele Fragen. Besonders das Haus des ehemaligen Kommandanten, zu welchem ein großes Schwimmbad gehörte, zeigte den Schülerinnen und Schülern die Grausamkeit dieses Ortes auf: „Wie konnte man Party machen, wenn nebenan Menschen gequält und getötet wurden?“. 

Wir als Schule bedanken uns bei der Warmaisa e.V. Worms für die Finanzierung dieser Exkursion und auch bei Frau May, die uns an diesem Tag begleitete und den Schülerinnen und Schülern viele Fragen beantwortete.“

Foto: Joana Vogt

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„Alter und neuer Antisemitismus – von den Protokollen der Weisen von Zion bis zur Charta der Hamas“ mit Prof. Dr. Andreas Lehnardt

Am 1.2.2024 schrieb Ulrike Schäfer in der Wormser Zeitung dazu folgenden Artikel:

Professor klärt über Ursprünge des Antisemitismus auf

Von Ulrike Schäfer

WORMS. Am liebsten hätte Dr. Andreas Lehnhardt, Professor für Judaistik der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Universität Mainz, darüber gesprochen, welche Bereicherung die Juden über Jahrhunderte für Deutschland waren; der Verein Warmaisa hatte ihn jedoch eingeladen, um über den Ursprung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und sein aggressives Auftreten nach dem 7. Oktober 2023 zu sprechen. Das Thema interessierte so sehr, dass zur Freude des Vereinsvorsitzenden Patrick Mais im Liebfrauensaal des Kulturzentrums sogar noch weitere Stühle gestellt werden mussten.

Lehnhardt schickte voraus, dass er den Begriff Antisemitismus, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, nicht für sehr passend halte. Die Phobie gegen Juden sei zutreffender mit Judenhass zu bezeichnen. Sie sei wie eine kulturelle Psychose, die leider nicht in einer Generation zu beheben sei. Sie lasse sich allenfalls eindämmen.

Im Zentrum seines Vortrags standen die 1868 erstmals veröffentlichten „Protokolle der Weisen von Zion“. Es handelt sich um ein Sammelwerk, dessen Kern aus dem Buch „Biarritz“ von Sir John Ratcliffe (Hermann Goedsche) stammt. Geschildert wird darin eine fiktive jüdische Geheimkonferenz auf dem Friedhof in Prag, die Beschlüsse fasst, um die jüdische Weltherrschaft zu erringen. Zwar wurde das Pamphlet eindeutig als böswillige Fälschung entlarvt, doch es verbreitete sich trotzdem rasch. 1878 erschien es in russischer Sprache. Die erste deutsche Übersetzung besorgte 1919 Gottfried zur Beek (Pseudonym des Ludwig Müller).

Pamphlet von 1868 führte zu Verschwörungstheorien

Allein zwischen 1920 und 1938 brachte es diese Version auf 22 Auflagen. Der NS-Welt-Dienst nutzte den Kern des Falsifikats, um eine gefährliche Verschwörungslegende zu konstruieren, die die Ängste der Menschen schürte. So wurde behauptet, die Juden hätten große Städte untertunnelt, um sie, wenn die Zeit gekommen sei, in die Luft zu sprengen.

Die „Weisen“ wurden von Europa aus in den arabischen Staaten weit verbreitet. Im Artikel 22 der Charta der Hamas von 1988 finden sich Sätze, wie: Die Juden hätten gewaltige Reichtümer angehäuft, um ihren Traum (von der Weltherrschaft) zu verwirklichen. Sie kontrollierten die Weltpresse und zettelten in verschiedensten Teilen der Erde Revolutionen an, um ihr Ziel zu erreichen. Seit 2017 gibt es zwar eine neue Charta der Hamas, so Lehnhardt, die alte gelte aber weiterhin.

Der Israelkenner führte im Einzelnen aus, wo die Fälschung, oft verwoben mit Sätzen eines orthodox interpretierten Korans, kursiert. Bis heute finden die Texte auch bei in Deutschland lebenden Palästinensern und der extrem Rechten Verbreitung. 2006 waren sie auf der Frankfurter Buchmesse und 2023 angeblich aus Versehen im Schaufenster des Zentralrats der Palästinenser in Berlin ausgelegt.

Im Anschluss an den Vortrag Lehnhardts wurden viele Fragen zur aktuellen Situation in Nahost gestellt. Der Referent erwies sich auch hier als kompetenter Kenner. Wunsch mancher Zuhörer: Dass er bald wiederkommt, um über die jüdische Blütezeit in Worms zu sprechen.“

Der Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 und seine Folgen lassen sich noch nicht recht einordnen und Vergleiche mit vorangegangenen Verbrechen werfen allesamt Fragen auf. Von verschiedener Seite wurde dabei betont, dass im Verlauf der von der Hamas initiierten Massaker an einem Tag so viele Jüdinnen und Juden ermordet wurden wie an keinem anderen Tag seit der Shoah. Ist es angesichts dieses Vergleichs und eingedenk der aktuellen Folgen des Angriffs überhaupt möglich, wie in den vergangenen Jahren einfach der Opfer des Holocaust zu gedenken, ohne auf die Verbrechen an Jüdinnen und Juden Bezug zu nehmen? Der Beitrag von Prof. Andreas Lehnardt, Inhaber des Lehrstuhls für Judaistik an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, möchte auf einige aktuelle Aspekte des alten europäischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts eingehen, und sie mit Motiven und Stereotypen in Schriften und Äußerungen der Hamas und anderer palästinensischer Organisationen sowie populären arabischen TV-Serien in Beziehung setzen. Ausgehend von den ominösen Protokollen der Weisen von Zion, die aus einer Fälscherwerkstatt des zaristischen Geheimdienstes stammen und die vermeintliche Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft skizzieren, soll den Motiven für den erneut auch auf den Straßen und Plätzen in Deutschland sichtbaren Judenhass nachgegangen werden. Welche Ideen und Vorstellungen können als Erklärungsrahmen für den grausamen Ausbruch von Hass und Gewalt herangezogen werden? Lassen sich Zusammenhänge rekonstruieren, wenn in (einer Version) der Charta der Hamas aus dem Jahr 1988 auf die erwähnten Protokolle Bezug genommen wird – alte islamische Traditionen vom Zusammenleben mit den „Schriftvölkern“ jedoch vergessen scheinen?

Text von Prof. Andreas Lehnardt

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