Adolf Tschirner (1894 – 1940)

Der am 24. 09. 1894 in Calbe a. d. Saale geborene Adolf Tschirner, Sohn des früh verstorbenen Adolf Tschirner und seiner Ehefrau Emma geb. Miller, kam 1913 aus Berlin-Lichtenberg nach Worms. Hier arbeitete er als freier Journalist. Im Ersten Weltkrieg war er Frontsoldat und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, der Hessischen Tapferkeitsmedaille, dem Türkischen Maschidi Orden, der Anhaltinischen Friedrichsmedaille sowie dem Verwundetenabzeichen ausgezeichnet. 1935 erhielt er das von Reichspräsident v. Hindenburg verliehene Frontkämpferehrenkreuz. Frau Tschirner mit zwei Söhnen und der als Chefsekretärin bei Doerr & Reinhart arbeitenden Tochter wohnte zunächst in der Römerstraße 44, später in der Wollstraße 27. Letzteres Haus ist im Bombenkrieg 1945 zerstört worden.

Ausgelöst durch einen von ihm für die Wormser satyrische Zeitschrift „Die Gaslatern“ verfassten Artikel über „Schwule Lyrik“ wurde 1931 eine polizeiliche Untersuchung gegen ihn durchgeführt. Sie blieb mangels Nachweises einer strafbaren Handlung folgenlos. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 versuchten seine persönlichen Gegner, Tschirners homophile Neigung zu instrumentalisieren. Der Leiter der städtischen Sammlungen, Dr. Erich Grill, zu dem ein gespanntes Verhältnis bestand, zeigte ihn im Oktober 1933 bei der Denkmalschutzbehörde wegen angeblich unterlassener Fundmeldung an, erfolglos. Mit Grills Verärgerung darüber vermischte sich nach seiner Frühpensionierung dessen Animosität gegenüber dem Tschirner wohlgewogeneren Leiter von Stadtarchiv und Stadtbibliothek, Dr. Friedrich Maria Illert. Grill beschuldigte Illert, Tschirner, einen „Gesinnungslumpen und Verderber der Jugend“, bei der Wormser Zeitung und beim Verkehrsverein zu  protegieren. Wohl aufgrund der Behinderung seiner journalistischen Arbeit durch die Denkmalpflegebehörde in Mainz anlässlich von Ausgrabungen bei St. Amandus in Worms und um weiteren Nachstellungen zu entgehen, verlegte Tschirner im Spätjahr 1934 seinen Wohnsitz nach Neustadt an der Weinstraße. Aber auch dort gingen die Verfolgungen weiter.

Trotz wiederholter Feststellung der Polizei, dass ihm keine strafrechtlichen Vergehen vorzuwerfen seien, wurde er 1935 in Untersuchungshaft genommen. 1936 verurteilte ihn das Landgericht Frankenthal aufgrund §§ 175 und 176,3 des Strafgesetzbuches zu 3 Jahren Gefängnis bei Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf 3 Jahre. Eine weitere Verurteilung durch das Amtsgericht Ansbach zu 3 Monaten (!) Gefängnis führte zu seiner Überstellung nach Nürnberg in Vorbeugehaft und zur Einweisung in das KZ Sachsenhausen. Sein im Lagerkrankenhaus am 29. 03. 1940 erfolgter „Tod eines Berufsverbrechers“, wie es im Schreiben der Lagerleitung heißt, ging angeblich auf Herzschwäche und Wassersucht zurück. Die Leiche wurde verbrannt und die Urne gegen Kostenerstattung den Angehörigen nach Worms übersandt. Hier wurde sie im Familien-Doppelgrab der evangelischen Familie Tschirner auf dem Friedhof Hochheimer Höhe beigesetzt.  

Tschirners Interesse galt „Altertümern“ im weitesten Sinne. Nachhaltig und erfolgreich hat er sich für die Freilegung der zugeschütteten romanischen Krypta der Hochheimer Bergkirche eingesetzt, was bei der Wiederweihe 1931 Pfarrer Oeckinghaus ausdrücklich betonte. Tschirner schrieb zahlreiche Artikel für die Wormser Zeitung zu Themen der Denkmalpflege und zu Bodenfunden, zur Stadtgeschichte und Geschichte der verschiedenen Konfessionen. Nachweise dazu finden sich in der Stadtbibliothek. Den unvollständig überlieferten Nachlass hatte der Wormser Journalist Carl J. H. Villinger übernommen. Er ging nach Villingers Tod z. T. an das Stadtarchiv, z. T. in private Hände über.

Eindeutig wurde Tschirner Opfer sowohl persönlicher Animositäten wie der vom Staat betriebenen Ausgrenzung von Homosexuellen. Sein Grabstein, auf dem auch seiner Schwester Marianne gedacht wird, hat sich bis heute aufgrund persönlicher Bemühungen von Mitgliedern des Altertumsvereins erhalten. Der gegenüberstehende Grabstein für Mutter und Bruder Paul wurde bedauerlicherweise beseitigt.

(Fritz Reuter, Wormser Historiker, Kunsthistoriker und Heimatforscher aus dem 19./20. Jahrhundert und ihre Grabstätten, in: Der Wormsgau, 19. Band, 2000, und 20. Band 2001)

Der Stein liegt vor dem Haus Römerstraße 44