Zur Verlegung am 22.11.2024 waren 12 Nachfahren (3 Generationen) aus den USA angereist. Jeffrey Ebert, Enkel von Arthur & Alice Ebert und Sohn von Paul Ebert las die englische Version des folgenden Textes an der Hochheimer Str. 19 vor, Inga May die deutsche Version.
Der Text wurde in enger Abstimmung zwischen den Nachfahren und Inga May zusammengestellt.
Arthur Eberts Vater Ludwig war 1886 aus Fürth in Bayern nach Osthofen gekommen. Er heiratete die Osthofenerin Philippine (Lina) Hirsch. Ludwig Ebert war sein ganzes Berufsleben in der Papp- und Papier-Industrie tätig, in Osthofen gesellschaftlich engagiert und die Familie höchst angesehen. Ihr „Papierwerk Osthofen Ludwig Ebert“ war über Jahrzehnte ein ganz wichtiger lokaler Arbeitgeber. Für Ludwig Ebert wurde 2023 der erste Stolperstein in Osthofen vor seinem Wohnhaus in der Schwerdstr. 13 verlegt.

(Kurt-Werner Pob/NS-Dokumentationszentrum Rheinland-Pfalz, Osthofen // Osth 97: Portraitaufnahme von Ludwig und Arthur Ebert, 1937)
Der Sohn Arthur Ebert (*14.5.1895 in Osthofen) war das dritte von insgesamt vier Kindern – seine Schwestern waren Flora Hilda Ebert (*1892 in Osthofen, verheiratete Vogel), Else Ebert (*1893 in Osthofen, verheiratete Rosenthal) und Martha Ebert (*1897 in Osthofen, verheiratete Siegel).
Arthur absolvierte eine kaufmännische Lehre, trat 18-jährig ins Papierwerk Osthofen ein und wurde mit 19 Jahren zum „Gesamt-Prokuristen“ ernannt, als der 1. Weltkrieg ausbrach. Seither hieß die Firma „Papierwerk Osthofen Ludwig Ebert & Sohn“. Ein Jahr später meldete er sich für den Kriegsdienst und in Anerkennung dessen erhielt er im Jahr 1934 das „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“

(NS-Dokumentationszentrum Rheinland-Pfalz, Osthofen, 124/2893)
Nach Ende des 1. Weltkrieges wurde er 1923 Mitbegründer der Firma „Vereinigte Papierwerke Ebert-Voss Aktiengesellschaft Hannover“ und dort zum Direktor bestellt. Beide Firmen leitete er bis 1938. Arthur Ebert war im Laufe seines Berufslebens in verschiedene Ausschüsse und Kommissionen des Fachverbandes der Papierindustrie berufen worden.

(Henry Ebert/NS-Dokumentationszentrum Rheinland-Pfalz, Osthofen, Osth 113)
Arthur hatte 1924 Alice Schnurmann (*4.7.1899) aus Straßburg geheiratet. Im gleichen Jahr zog das junge Ehepaar nach Worms und wohnte zunächst in der Rathenaustraße 16. Ende 1925 zogen sie in die Hochheimer Straße 23 (heute Nr. 19) um. Im Wormser Brandkataster ist seit 1.1.1926 zunächst das Papierwerk Osthofen, später Arthur Ebert persönlich als Eigentümer eingetragen (StA Worms Abt. 5, Nr. 8016, Brandkataster). Diese Eintragungen lassen vermuten, dass das Haus für das Papierwerk bzw. für Arthur Ebert erbaut wurde. Eine großzügige Treppenanlage führt von der Hochheimer Straße zum Eingang des 2½-stöckigen Hauses, an das sich im hinteren Bereich eine überdachte Veranda und ein großer Garten anschließen.
Der älteste Sohn Paul Ebert wurde am 4.11.1925 in Worms geboren. Welche Schulen Paul besuchte, ist nicht bekannt, aber Familie Ebert litt – wie alle deutschen Juden – seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zunehmend unter den Repressionen und der zunehmend judenfeindlichen Gesetzgebung. Paul musste als 8-Jähriger erleben, dass sein Großvater Ludwig Ebert im KZ Osthofen eingesperrt wurde. Unter dem wachsenden Druck schickten die Eltern ihn mit knapp 13 Jahren in die Israelitische Gartenbauschule Ahlem bei Hannover, wo er zusammen mit anderen jüdischen Jugendlichen auf die Emigration nach Palästina vorbereitet werden sollte (Korrespondenz mit Archiv der Gedenkstätte Ahlem, 2024).
Sein jüngerer Bruder Hans Heinz Ebert (später Henry) kam am 12.7.1929 in Heidelberg zur Welt. Als er 6 Jahr alt war, wurden nur noch wenige jüdische Schüler in öffentlichen Schulen aufgenommen. Auch für Heinz ist nicht bekannt, wo er eingeschult wurde.
Die „Arisierung“ der Gesellschaft war voll im Gang; sie betraf nicht nur das Wirtschafts- und Kulturleben, sondern sie hatte gravierende Auswirkungen auf das soziale und auf das Privatleben der Familien. Es waren zahlreiche Berufsverbote für Juden erlassen worden und mit den Nürnberger Gesetzen 1935 waren den Juden ihre politischen Rechte genommen, Mischehen waren untersagt etc.
Arthurs Mutter Lina Ebert war 1933 gestorben und auf dem Osthofener Judenfriedhof beerdigt worden. Bis dahin lebte sie mit Ludwig noch in ihrem großzügigen Wohnhaus Schwerdstraße 13 in Osthofen; auch das Wohn- und Geschäftshaus der Großeltern (Wormser Straße 1 / heute Carlo Mierendorff Straße 1) war noch in Familienbesitz. Ein Jahr später wurde Arthurs Vater Ludwig im KZ Osthofen inhaftiert – eingerichtet auf dem Firmengelände der Papp-Fabrik, in der er mehr als 25 Jahre als leitender Angestellter gearbeitet hatte.
Diese Verhaftung war sicher das Fanal für die ganze Familie: Die Kinder waren 5 und 8 Jahre, Arthur 38, seine Frau 34 Jahre alt.
Kurz danach mussten die beiden Osthofener Wohnhäuser verkauft werden und für den 66-jährigen Vater Ludwig begann die Flucht. 10 Jahre später wurde er in Auschwitz ermordet.
Die Hausverkäufe fanden in 1934 (Schwerdstraße 13) und 1935 (Wormser Straße 1) statt (StA Osthofen, SIII/215, Brandkataster 1881 – 1940, Bd. 3).
1937/38 mussten sowohl das Papierwerk in Hannover als auch das Papierwerk in Osthofen verkauft werden. Arthur konnte in seinem 1938/39 verfassten Lebenslauf die repressiven Umstände der Verkäufe nur andeuten: „… Die umfangreiche Entwicklung der beiden Betriebe bis zum erforderlich geworden Verkauf war das Ergebnis meiner intensiven Tätigkeit.“

(NS-Dokumentationszentrum Rheinland-Pfalz, Osthofen, 124/2893)
Anfang November 1938 reisten Arthur und Alice mit den Kindern und Alice Eberts Bruder Fritz Schnurmann nach Belgien. Dort erhielt der älteste Sohn Paul seine Bar Mitzwa, da es offensichtlich zu Hause nicht mehr möglich war. Die Nachricht vom Novemberpogrom in Deutschland veranlasste die Eltern, die Emigration zu beschleunigen. Gemäß Dokumentation Schlösser meldeten Arthur und Alice Ebert sich mit Sohn Heinz am 29.11.1938 von Worms nach Mannheim ab – vielleicht zu Arthurs Schwester Martha verheirate Siegel. Gemäß den Unterlagen der Volkszählung vom 17.5.1939 war die Mutter mit den Kindern im Mai 1939 tatsächlich in Mannheim, Werderstraße 15 gemeldet (Korrespondenz mit Archiv der Gedenkstätte Ahlem, 2024).
Die Nachfahren geben an, dass Mutter Alice in Belgien mit den Söhnen Heinz und Paul in einer Pension auf ihre Ausreisepapiere aus dem französischen Straßburg warteten. Sie konnten schließlich noch im Laufe des Jahres 1939 nach New York USA ausreisen. Eine der ersten Erinnerungen des kleinen Heinz – in Freiheit – war der Besuch der Weltausstellung in New York 1939/40, da war er 10 Jahre, sein Bruder 14 Jahre alt.
Arthur Ebert und sein Schwager Fritz Schnurmann fuhren zurück nach Worms, um ihre Ausreise zu regeln.
Um diese Zeit musste auch das Wormser Haus in der Hochheimer Str. 23 (heute 19) verkauft werden. Im Wormser Brandkataster ist ab 1939 Joh. Baptist Doerr als Eigentümer eingetragen (StA Worms Abt. 5, Nr. 8016, Brandkataster).
Alice und die Kinder wurden in den USA zunächst von Arthurs Schwester Else und ihrem Mann Rudi Rosenthal (beide Ärzte) in New York aufgenommen. Sie hatten Deutschland schon früher verlassen. Nach einiger Zeit kamen sie über eine Hilfsorganisation nach Pittsburgh in Pennsylvania; dort arbeitete Alice als Spülfrau, die Buben verdienten sich als Zeitungsausträger Geld dazu.
Arthur Ebert und Fritz Schnurmann gelang 1940 über Belgien und England die Flucht nach New York, USA.
Arthur holte seine Familie so schnell wie möglich von Pittsburgh nach NY, wo er eine große Wohnung mieten konnte, die er teilweise untervermietete und somit kleine Einnahmen hatte. Mit Mitte 40 versuchte er in der US-amerikanischen Papierindustrie eine Arbeit zu finden, was aber wegen seiner geringen Englischkenntnisse unmöglich war. Die Kinder wurden sofort eingeschult und Mutter Alice bestand darauf, dass sie auch zu Hause nun Englisch sprachen, was dank eines fürsorglichen Lehrers bei den Buben schnell funktionierte.
Schließlich kaufte Vater Arthur Papierwaren in größeren Mengen an und begann, Tüten u.a. an die vielen deutschen Lebensmittelhändler in ihrem New Yorker Stadtviertel zu verkaufen. Das Geschäft nahm Fahrt auf, Arthur kaufte einen kleinen Laden und mit seinem Auto belieferte er seine Kunden. Die Söhne stiegen nach Abschluss der Schule mit in das Geschäft ein; Ehefrau Alice machte die Buchführung. 15 Jahre nach seiner Flucht und 10 Jahre nach Kriegsende konnte Arthur 1955 dank eines Bankkredits ein Lagerhaus in Englewood, NJ kaufen (30 km nördlich von NY-City), welches die neue Basis für ihr Geschäft wurde.

(Foto von Renee Hillman)
Nach dem Krieg erhielt Arthur Ebert eine Entschädigung von ca. $ 20.000. Arthur und Alice kehrten nie nach Deutschland zurück, Alice war strikt gegen – auch nicht um höhere Entschädigungszahlungen für die Häuser und Firmen zu erstreiten. Arthur teilte die $ 20.000 mit seinen zwei noch lebenden Schwestern und der Tochter seiner ermordeten Schwester.
Alice Ebert starb 1968, Arthur Ebert 1986, beide in Englewood, NJ, USA.
______________
Quellen:
StA Worms, Abt. 170/32 Dokumentation Schlösser
NS-Dokumentationszentrum Rheinland-Pfalz, Osthofen
StA Worms, Abt. 5, Nr. 8016, Brandkataster für Wohnhaus Hochheimerstraße 23 (heute Nr. 19)
Korrespondenz 2024 zwischen Thomas Lippert (Archiv der Gedenkstätte Ahlem) und Inga May
StA Osthofen, SIII/215, Brandkataster 1881 – 1940, Bd. 3 für Wohnhäuser Schwerdstraße 13 und Carlo Mierendorff Straße 1
Korrespondenz 2023/25 zwischen Inga May und Henry Eberts Ehefrau Estelle sowie Paul Eberts Kindern Jeffrey Ebert und Renee Hillman
Die Steine liegen vor dem Haus Hochheimerstraße 19.