In Worms, in der Lindwurmgasse 10, stand das Haus der Familie Joseph Meyer.
Joseph Meyer war Viehhändler und betrieb sein Geschäft im eigenen Haus, das er 1914 gekauft hatte, und wo er auch mit seiner Familie lebte. Joseph Meyer wurde 1863 in Pfeddersheim geboren und zog mit seinen Eltern und Brüdern 1885 nach Worms in die Mähgasse 12.
Er heiratete Klara Löb, die am 16.06.1870 in Darmstadt geboren wurde. Das Paar bekam acht Kinder.
Joseph Meyer starb 1941 und wurde auf dem neuen jüdischen Friedhof beerdigt. Die Grabstelle ist bekannt, aber das Grab wurde abgeräumt und ist nicht mehr vorhanden.
Seine Ehefrau Klara musste 1941 ihr Haus in der Lindwurmgasse verlassen und wurde in das jüdische Gemeindehaus in der Hinteren Judengasse 2 zwangseingewiesen. Am 27. September 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und dort am 14. Oktober 1942 ermordet.
Über das Schicksal der acht Kinder des Ehepaares Meyer ist Folgendes zu berichten:
Die erste Tochter Clothilde, genannt Tilly, geb. 1895, wuchs bei ihrem Onkel Leopold Meyer, einem Bruder ihres Vaters, und dessen Frau Therese auf, die kinderlos waren. Leopold Meyer war Metzgermeister und hatte sein Geschäft in der Kämmererstraße 63. 1920 heiratete Clothilde Friedrich Wendel.
Friedrich Wendel, der 1888 in Bausendorf im Kreis Wittlich an der Mosel geboren wurde, kam nach dem Ende des 1. Weltkriegs, an dem er von 1914 bis 1918 als Soldat teilgenommen hatte, nach Worms. Auch er war Metzgermeister und arbeitete in der Metzgerei von Leopold Meyer.
1927 starb Therese Meyer und ihr Mann Leopold zog 1931 nach Frankfurt. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Die Metzgerei übernahm Friedrich Wendel.
1934 emigrierten Clothilde und Friedrich Wendel mit ihren Zwillingen Gerhard und Margot, die 1922 geboren wurden, nach Paraguay und zogen von dort 1941 nach Argentinien. Die Tochter Margot hat Worms zusammen mit ihrem Mann besucht
Die zweite Tochter Sophie wurde 1899 geboren.
Sie bekam drei Kinder und lebte mit ihnen im Haus ihrer Eltern in der Lindwurmgasse 10.
1921 kam ihr Sohn Ernst Albert, 1925 ihre Tochter Lucie und 1927 ihre Tochter Lina Gertrude zur Welt.
Als 1941 die ganze Familie ihr Haus in der Lindwurmgasse verlassen musste, wurde Sophie zusammen mit ihrer Schwester Franziska und ihrem Bruder Wilhelm in ein Haus am Sixtusplatz 3 zwangseingewiesen.
Sophie musste sich auch von ihren Kindern Lucie und Lina Gertrude trennen, die nach Mainz in das jüdische Kinderheim kamen.
Sophie Meyer war, wie viele Juden in Deutschland, unter erschwerenden und diskriminierenden Bedingungen zur Zwangsarbeit verpflichtet worden. Zusammen mit sechs Männern und sieben Frauen arbeitete sie bei der Firma Werner und Merz in Mainz.
Die Zwangsarbeiter mussten mit dem Zug um 5:00 Uhr früh in Worms abfahren und kehrten erst nach 20:00 Uhr zurück. Während der Bahnfahrt durften sie nicht sitzen, sie mussten stehen. Bei sehr geringer Entlohnung, mangelhafter Ernährung mussten sie den ganzen Tag hart arbeiten.
Auch bei den Blendax-Werken in Mainz mussten sechs jüdische Männer aus Worms Zwangsarbeit leisten.
Alle Wormser Zwangsarbeiter und –arbeiterinnen wurden in den Jahren 1942 bis 1945 ermordet.
Am 25.03.1942 wurden Sophie Meyer, ihre Kinder Lucie und Lina Gertrude und ihre Geschwister Franziska und Wilhelm zusammen mit 76 Wormsern in das Durchgangslager Piaski in Polen deportiert. Sie wurden alle in Belzec ermordet.
Piaski war ein Schtetl in Ostpolen und dort wurde von den Deutschen ein Ghetto eingerichtet, in das mehrere tausend Juden aus dem Lubliner Ghetto sowie aus dem deutschen Reich deportiert wurden. Von dort wurden sie in die Vernichtungslager geschickt.
Lucie‘s Sohn Ernst Albert besuchte zuletzt die jüdische Bezirksschule, die die jüdische Gemeinde in ihrem Gemeindehaus in der Hinteren Judengasse 2 von Mai 1935 bis zum Winter 1940/41 unterhielt. Im Oktober 1936 zog er nach Berlin und begann eine Lehre in einer jüdischen Organisation. Kurz vor Kriegsbeginn, im August 1938, konnte er nach England emigrieren. Dort wurde er interniert und später nach Australien verschifft (Army-Labour-Corps).Er blieb in Australien und gründete in Melbourne eine Familie. Er hat Worms einige Male besucht.
Die dritte Tochter Emilie wurde 1900 geboren. Sie emigrierte 1939 nach England und von dort nach Melbourne, Australien.
Der Sohn Robert kam 1901 zur Welt. Er zog 1939 nach Frankfurt. Ihm gelang es nicht, Deutschland zu verlassen. Er starb in Frankfurt 1942. Weitere Einzelheiten, auch über seinen Tod, sind nicht bekannt.
1906 wurde die vierte Tochter Franziska geboren. Wie schon berichtet wurde, wurde Franziska 1941 mit ihrer Schwester Sophie und ihrem Bruder Wilhelm in ein Haus am Sixtusplatz 3 zwangseingewiesen.
Am 25.03.1942 wurden Franziska, ihre Schwester Sophie, deren Kinder Lucie und Lina Gertrude und ihr Bruder Wilhelm, in das Durchgangslager Piaski in Polen deportiert. Sie wurden alle in Belzec ermordet.
Als fünfte Tochter kam Eleonore Rosine 1908 zur Welt. Auch sie zog 1939 nach Frankfurt und es gelang ihr, trotz des Krieges, nach England zu emigrieren. Sie reiste weiter nach Australien, heiratete und lebte in Sydney. Auch sie hat Worms besucht.
Der zweite Sohn Wilhelm wurde 1910 geboren.
Als 1941 die ganze Familie ihr Haus in der Lindwurmgasse verlassen musste, wurde Wilhelm mit seinen Schwestern Sophie und Franziska in ein Haus am Sixtusplatz 3 zwangseingewiesen. Am 25.03.1942 wurden Wilhelm, seinen Schwestern Franziska und Sophie, sowie deren Kinder Lucie und Lina Gertrude, in das Durchgangslager Piaski in Polen deportiert. Sie wurden alle in Belzec ermordet.
1913 kam das achte Kind zur Welt, eine Tochter namens Frieda. Frieda folgte ihrer Schwester Emilie 1939 nach England. Von dort ging sie nach Australien heiratete und lebte in Sydney.
Bearbeitung von Einführung von Manfred Dröge