Karl Schloss und Rosel Schloss

 Der am 6. 1. 1876 in Framersheim/Rheinpfalz geborene Karl Schloss (isr.) und seine am 20. 12. 1881 in Ludwigshafen geborene Frau Rosel, geb. Storck, geschiedene Michel(ev.), kamen am 10. 3. 1929 aus Alzey nach Worms. Karl Schloss hatte in München und Heidelberg Geisteswissenschaften studiert. Er gehörte als Dichter und Lyriker zur Münchener Jugendstilszene.

Um Frau und Tochter Sibylle (15. 10. 1910 München) ernähren zu können, ging er zurück nach Alzey in den Zigarrenhandel und die Zigarrenfabrik, die sein Vater Adolf Schloss dort 1912 gegründet hatte und die Karl nach dessen Tod 1918 übernahm. 1922 gründete Karl Schloss in Worms, Seminariumsgasse 4, eine zweite Produktionsstätte, die er 1925 in die Alzeyer Straße 25 und bald darauf in die Alzeyer Straße 58 verlegte und vergrößerte. Den Alzeyer Betrieb gab er 1928 auf und zog 1929 nach Worms in die Alzeyer Straße 58. Sein Betrieb in Worms hatte 12-20 Stammarbeiter, beschäftigte daneben aber noch 60-120 Saisonarbeiterinnen.  

Infolge der nationalsozialistischen Restriktionen gegenüber jüdischen Firmen musste die Firma 1937 aufgeben und wurde liquidiert. Auf Vermittlung ihrer Tochter Sybille, Schauspielerin und Kabarettistin bei der „Pfeffermühle in München, die inzwischen in  London mit dem Patentanwalt Thomas Michaelis verheiratet war, gelang es dem Ehepaar Schloss, im September 1937 nach Den Haag/Niederlande auszuwandern. Als jedoch die Niederlande 1940 von deutschen Truppen besetzt wurden, gerieten sie erneut unter NS-Herrschaft. Eine von Sibylle vorbereitete Auswanderung nach den USA gelang ihnen nicht. Im Herbst 1943 wurden sie verhaftet und zunächst nach Darmstadt in das Gestapogefängnis überstellt.

Rosel Schloss, die keine Jüdin war, lehnte eine Scheidung von ihrem Mann ab. Beide wurden offenbar in einem Sondergerichtsprozess (?) zu Lagerhaft verurteilt Karl Schloss kam nach Auschwitz, wo er am 3. 1. 1944 starb. Rosel Schloss starb am 3. 1. 1944 in Ravensbrück.   Tochter Sybille ist 2007 in den USA gestorben.

Die Steine liegen vor der Seminariumsgasse 4.

Der Text wurde von Dr. Reuter verfasst und verlesen.

Frau Annelore Schlösser gedachte Karl Schloss mit folgenden Worten:

Karl Schloss wollte Dichter sein und musste Zigarrenfabrikant werden. Ob er ein bedeutender Dichter geworden wäre, wissen wir nicht, er stand ja erst am allerdings recht hoffnungsvollen Anfang seiner Laufbahn, als er sie  beenden musste . 1905 war sein erster Gedichtband erschienen, daraus möchte ich ein Gedicht vorlesen, das uns heute  seltsam prophetisch anmutet. Wie kam ein junger Mann, der durchaus auch das Bohèmeleben in München genoss, damals zu solchen Versen?    

 Die Blumen werden in Rauch aufgehn,

 Und der Wald wird voll Spinnweben stehn,

 Die Blätter werden von den Bäumen abfallen,

 Das kahle Gezweig wird sein wie Krallen.

 Wir werden an ihre Türen klopfen,

 Und das Blut wird von unseren Fingern tropfen,

 Sie werden mit ihren Fingern auf uns zeigen,

 Und wir werden gehn  und  – schweigen.  

Erst in der Emigration begann er wieder zu schreiben,  und aus seinem allerletzten Gedicht, das er wahrscheinlich 1943 schon in der Haft schrieb und aus dem Gefängnis in Darmstadt irgendwie noch seiner Stieftochter Anny Michel zukommen lassen konnte, möchte ich diese Zeilen zitieren:  

 Ich war seit manchem Jahr ergeben

 Dem Schweigen, als dem wahren Leben.

 Still ging die Zeit dahin und eben –

 Seht, wie man mich zu Grunde richtet

 Seht , wie man mich zerschlägt in tausend Scherben.

  Ach, warum kann ich nicht wie andre auch,

 Friedlich ausatmend meinen letzten Hauch,

 In einem saubren Bette sterben?  

Kurz danach starb er in Auschwitz.  

Frau Sibylle Meisenzahl-Michel, Enkelin von Rosel Schloss las aus deren Briefen:

Stolpersteine sind da zum Hinsehen: „Nicht durch Wegsehen, sondern durch das Hinsehen wird die Seele frei“ (Philosoph Theodor Litt, zitiert von Alfred Epstein für seine jüdische Gemeinde  in Mainz).  

Ich lese aus Briefen:  

Worms, am 1. November 1936 (an ihre Tochter Sybille):

 Mein Liebling, ich kann Dir nichts mehr sagen. Ich bin so entsetzlich bedrückt, und wenn Du nicht wärst, möchte ich am liebsten doch sterben. Unser Leben ist hier so traurig.   Worms, am 26. Februar 1937 (an ihre Tochter Sybille) Unser Leben ist sehr dunkel und hässlich, und ich zweifle ernsthaft, ob ich es noch lange ertragen kann: ein solches Dasein, besonders für alte Leute, die wir sind. Dein Vater wird immer buckliger und magerer. Es ist ein Jammer! Aber ich will doch nicht klagen, Liebling, aber ich bin so verbittert; das zieht mir das Mark aus den Knochen….Wir sind sehr knapp. Eine kleine Wohnung können wir auch nicht bekommen: „Juden unerwünscht.“

   Den Haag 17.1.1943 (an ihre Tochter Anny Michel):

 In Gedanken rede ich so viel mit Dir, aber schreiben kann ich nicht. Ich kann überhaupt nicht schreiben über das, was mein Herz bewegt. Selbst das reden darüber fällt mir immer schwerer.  

   Den Haag 16.4.1943 (an ihre Tochter Anny Michel):

 Wenn ich könnte, wie ich wollte, hätte ich Dir viel zu sagen. Am liebsten würde ich schreien.

   August 1943: Karl und Rosel Schloss werden im „Zuge einer Aktion gegen Mischehen“ verhaftet und nach Darmstadt transportiert. Rosel Schloss wurde nahegelegt, sich von dem jüdischen Ehemann zu trennen.

Sie wurden getrennt: Karl Schloss starb am 3. Januar 1944 im Konzentrationslager  Auschwitz, Rosel Schloss starb am 6. Januar 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück.

Aus dem Hinsehen wird ein Auftrag:

   Schwestern, vergesst uns nicht!

   Schwestern, vergesst uns nicht,

   vergesst nicht die Toten von Ravensbrück!

   Wenn Ihr uns vergesst,

   war unser Sterben umsonst,

   umsonst die Tränen , die wir geweint,

   umsonst die Qualen, die wir gelitten.

   umsonst der Schweiß, der von uns geflossen

   in tiefer Erniedrigung,

   schrecklicher Angst – das Grauen,

   der Tod –

   wenn Ihr uns vergesst,

   war unser Sterben umsonst.

   Ihr aber müsst stark sein, ihr Schwestern

   stark fühlen,

   stark denken,

   stark handeln,

   klar und stark wie noch nie –

   denn wieder reckt sich

   der Menschheit Feind empor!  

(Aus: „Mahnruf der toten Frauen von Ravensbrück“ von Auguste Lazar)