Am Schicksal der Familie Schauder lässt sich geradezu wie unter einem Brennglas nachvollziehen, wie die Nationalsozialisten jüdische Familien zerstörten: Demütigung, Verfolgung, Deportation, Zwangsarbeit, Konzentrationslager, Vernichtungslager und Emigration der Überlebenden – dies alles widerfuhr der Familie.
Markus Schauder wurde am 10.10.1887 in Kolomea [1] (damals Donaumonarchie, heute Ukraine) geboren und kam 1909 nach Worms. Er heiratete am 11.11.1926 Fanny Garten, geboren am 1.5.1903 in Ulanow (heute ebenfalls Ukraine).
Das Ehepaar hatte drei Kinder: Jakob, geb.am 12.9.1928, Hermann, geb. am 08.02.1930 und Paul, geb. am 13.05.1931.
Die Eheleute Schauder wohnten seit ihrer Verheiratung in der Friedrichstraße 20, die Familie ab 1930 am Sophienplatz 13, ab 15.4.1933 in der Römerstraße 61 (heute Römerstraße 53) und ab 15.12.1938 in der Hinteren Judengasse 6 (im jüdischen Altersheim), schließlich ab 13.4.1939 in der damaligen Hindenburg-Anlage 21 im Wärterhaus des alten Judenfriedhofs.
Markus Schauder war Geschäftsführer bei der Möbelhandlung E. Scheiering, Inhaber Ignaz Ziegellaub (der ebenfalls aus Kolomea stammte). Die Firma bestand von 1907 bis 1928, zuerst in der Friedrichstraße 20, später am Ludwigspl. 1.
Nach dem Niedergang dieser Firma machte sich Markus Schauder selbständig. 1931 eröffnete er in der Römerstraße 61 ein eigenes Geschäft für Möbel aller Art, Kinderwagen, Konfektion, Herren – und Damenwäsche, Manufakturwaren und Schuhe.
Das Geschäft und die Wohnung, die sich mittlerweile ebenfalls hier befand, wurden beim „Kristallnacht“-Pogrom vom 10.11.1938 schwer verwüstet, Einrichtungsgegenstände und Warenbestände zerschlagen und geplündert. Eine Weiterführung des Geschäfts war nicht mehr möglich, auch weil die Polizeiverordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben vom 12.11.1938 dies nicht mehr zuließ. Offenbar war die Zerstörung der Wohnung auch Ursache für den Umzug ins jüdische Altersheim und später ins Wärterhaus des alten Judenfriedhofs.
Laut polizeilichem Eintrag meldete sich Markus Schauder am 16.12.1939 ab nach Haifa/Palästina. Tatsächlich aber wurde er bereits am 08.09.1939 verhaftet und vom 20.10. bis 23.10.1939 in der Haftanstalt Darmstadt in „Schutzhaft“ genommen. Am 24.10.1939 wurde er von dort in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, schließlich am 14.03.1942 in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale „überführt“ und ermordet. In einer Namensliste verstorbener Buchenwaldhäftlinge wird als Todesdatum der 28.03.1942 und die angebliche Todesursache „Herzversagen“ angegeben; eine andere Quelle [2] spricht von „Asthma“.
Nach der Verhaftung ihres Mannes wurde Fanny Schauder 1940 mit ihren 3 Söhnen nach Berlin deportiert (sie berichtet, dass ihr zum Packen 2 Stunden Zeit gegeben wurde), wo sie in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit leisten mussten. Im Jahr 1942 sollten alle von Berlin aus weiter deportiert werden. Nach ihren eigenen Angaben bot sich ihr während des Transports Gelegenheit zur Flucht, die sie nutzte. Allerdings ging auf dieser Flucht ihr Sohn Hermann verloren.
Seine Spur führt zunächst in das jüdische Waisenhaus Berlin in der Schönhauser Allee 162, wo er am 21.11.1942 von der Gestapo „verhaftet“ wurde (es handelt sich um ein knapp 13-jähriges Kind!). Kurz darauf, am 26.11., wird er in die Diphterie-Station des jüdischen Krankenhauses eingeliefert und am 23.02.1943 in das Sammellager Berlin, Große Hamburger Straße 2 b, gebracht. Zusammen mit ca. 900 weiteren jüdischen Kindern wurde er am 26.02.1943 im „30. Osttransport“, der sog. „Welle 44“ in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört.
Mit den beiden anderen Söhnen konnte Fanny Schauder nach Mannheim gelangen, wo sie mit Hilfe von Bekannten das Kriegsende überlebte.
Fanny Schauder lebte nach 1945 einige Zeit wieder in Worms, wo sie 1946 versuchte, in der Kämmererstraße 58 wieder ein Geschäft für Möbel und Konfektion zu eröffnen. Bei diesem Versuch erlebte sie eine erneute Demütigung: Ihr entsprechender Antrag an die Stadt Worms wurde am 07.03.1946 mit der Begründung abgelehnt, die Innenstadt sei zu 90 % zerbombt und es wurde ihr – mit dem Ausdruck des Bedauerns wegen ihrer bisherigen „Schicksalsschläge“ – geraten, es doch in einer weniger zerbombten Stadt zu versuchen.
Im Juli 1946 wohnte sie mit den Söhnen Jakob und Paul wieder in Mannheim, Quadrat T 6. 30, wo sie offenbar ihre von privaten Sponsoren finanzierte Emigration vorbereitete. Am 05.08.1946 kam die Familie in ein Flüchtlingslager nach Bremerhaven. Lt. Passagierliste legten alle drei am 06.09.1946 mit dem Schiff SS Marine Marlin ab Bremen in Richtung New York ab, wo sie am 16.09.1946 ankamen [3]. Es handelte sich um die Jungfernfahrt des früheren Truppentransporters als Passagierschiff.
Bekannt ist noch, dass Fanny Schauder am 26.6.1953 in San Diego/Kalifornien gemeldet war.
Quellen:
Dokumentation Annelore und Karl Schlösser http://www.wormserjuden.de/, Meldekarten, Unterlagen von Frau Fanny Schauder im Stadtarchiv Worms, div. Dokumente v. ITS Bad Arolsen, Bundesarchiv Koblenz
Die Steine liegen vor dem Haus Römerstr. 53.
[1] Die Stadt hatte um 1900 einen jüdischen Bevölkerungsanteil von fast 50 % (Wikipedia)
[2] Listen von verstorbenen Häftlingen unbekannter Nationalität, 1939 – 1945 in Buchenwald
[3] Vgl. https://wiki2.org/en/SS_Marine_Marlin#cite_ref-1