Recha Reinheimer, geb. Strauss ( 1942 Deportation nach Piaski/Polen), Anneliese Reinheimer (Emigration nach USA) und Tini Moses (1975 – 1943)

Recha Reinheimer

Mit dem Bleistift geschrieben im verplombten Waggon/ Da Pagis

Hier in diesem Transport
Bin ich Eva
Mit Abel meinem Sohn
Wenn ihr meinen großen Sohn seht
Kain Adams Sohn
Sagt ihm dass ich

Vor dem Haus Nr. 12 in der Bärengasse werden drei Gedenksteine verlegt , sie sollen an Recha Reinheimer, an Anneliese Reinheimer und an Tina Moses erinnern. Wir wollen ihrer Gedenken. Eigentlich müssten wir auch Leopold Reinheimer gedenken, denn er verstarb nach seiner Rückkehr aus dem KZ-Buchenwald im Jahre 1940 seiner Existenz beraubt hier in Worms. Sein Grab befindet sich auf dem neuen Judenfriedhof in Worms.

Recha Reinheimer war verheiratet mit Leopold Reinheimer, der hier im eignen Haus eine Metzgerei betrieb. Er entstammte einer Familie, die seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Worms ansässig war. Seine Großeltern (Loeb) Leopold Reinheimer, seit 1816 verheiratet mit Rachel, geb. Wälder (Wildern) waren von dem hessischen Dorf Habitzheim bei Otzberg nach Worms zugezogen und wohnten seit 1833 im eignen Haus, Kleine Rheingasse 149. Auch er war Metzger. Ihr Sohn Moritz Reinheimer (1829-1889) war zweimal verheiratet. Aus der zweiten Ehe mit Fanny Mainzer (1842 -1904) ging Leopold Reinheimer hervor. Er lebte als einziger dieser Familie in Worms, ob er Geschwister hatte, ist nicht zu ermitteln. Es gab jedoch Verwandtschaft (die Cousins Leopold und Adolf und die Cousinen Regina und Amalie) in Worms. Diese wohnten in der Gymnasiumsstraße 9 und 10.

Das Haus in der Bärengasse 12 gehörte der Familie seit 1867. Moritz Reinheimer, der Vater von Leopold, hatte hier eine Metzgerei und Rindviehhandel betrieben. Dieses Geschäft hatte der Sohn Leopold nach dem Tod der Mutter 1904 übernommen.

Leopold Reinheimer und seine Metzgerei waren in der Wormser Altstadt sehr bekannt und gut angesehen. Er fühlte sich und galt auch unter seinen Bekannten als alter Wormser, mit dem man gern Umgang hatte. Während des ersten Weltkrieges war er von 1916-1918 beim Landsturm zum Kriegsdienst eingezogen. Mit Beginn des Dritten Reiches trafen auch ihn und seine Familie bald geschäftliche Boykottierung und gesellschaftliche Isolierung. Trotzdem konnte sich die Metzgerei bis 1938 halten.
Am 12.11. 1938 drangen Schlägertrupps der SA ins Haus Reinheimer, die Metzgerei und die Wohnung wurden schwer verwüstet. Überdies wurde Leopold Reinheimer am 11.11.38 verhaftet und mit insgesamt 87 jüdischen Männern aus Worms und Umgebung vorübergehend ins KZ Buchenwald verbracht.
Nach seiner Rückkehr war seine beruflich Existenz auch durch die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben vom 12.11.1938 endgültig vernichtet.

Leopold und Recha Reinheimer hatten danach wie ihre Tochter Anneliese ihre Auswanderung in die USA beantragt und standen 1940 auf einer Warteliste, doch kam es nicht mehr zur Auswanderung.

Leopold Reinheimer starb in Worms am 6.12.1940 im Alter von 63 Jahren. Die verwitwete Recha Reinheimer wohnte weiterhin in der Bärengasse 12, musste jedoch, wahrscheinlich zwangsweise, am 2.2.1942 in die Hintere Judengasse 2 (jüdisches Gemeindehaus) ziehen.
Unter dem 30.9.1942 vermerkt ein polizeilicher Eintrag, sie sei nach unbekannt ausgewandert. Tatsächlich aber wurde Recha Reinheimer mit dem Sammeltransport am 20.03.1942 nach Piaski/Polen deportiert. (DepL I, Nr. 422). Sie hat die Deportation nicht überlebt. (BAK:Z Sg 138).

Aufstehen
Wir träumten in den entsetzliche Nächten
Schwere Träume voller Gewalt,
Wir träumten mit Seele und Leib:
Heimkehr, Essen, Erzählen.
Bis der kurze, leise
Befehl der Frühe ertönte:
“Wstawa´c”-

Und es zersprang in der Brust uns das Herz.
Jetzt haben wir unser Haus wiedergefunden
Unser Bauch ist gesättigt,
Wir sind mit dem Erzählen am Ende.
Es ist an der Zeit. Bald hören wir wieder
Den fremden Befehl:
“Wstawa´c”

Die Tochter, Anneliese Reinheimer aus erster Ehe mit Mathilde Ottilie geb. Strauß wurde am 10.2.1918 in Worms geboren.  Sie lebte 1935/36 vorübergehend in Konstanz und Frankfurt, dann aber wieder in Worms bei Vater und Stiefmutter. Sie verließ Worms am 31.10.1939 nach New York. Sie lebte dort verheiratete New, bis zu ihrem Tod, Anfang der siebziger Jahre.

Quellen: Adressbücher, KEM, Mb, FrB40, DepL I, AK-VHS, BAK

Tini Moses, Dienstmädchen  geb.15.10.1875 in New York
Tini oder auch Tina Moses war am 13.9.1909 von Göllheim nach Worms zugezogen. Sie war hier wohl im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung als Dienstmädchen und als Untermieterin in mehreren Wohnungen gemeldet: Zuerst Petersstraße 29, 1929 Petersstraße 22, 1932 Burkhardstraße 25, 1934 Sixtusplatz 7, 1935 Große Affengasse 1, 1939 Bärengasse12 (bei der damals nicht mehr bestehenden Metzgerei Reinheimer, wo sie früher als Ausläuferin beschäftigt war).

Am 16.7.1941 zog sie wahrscheinlich in die Hintere Judengasse 6 (jüdisches Altersheim)

Laut polizeilichem Eintragung ist  sie am 25.9.1942 ohne Abmeldung abgereist. Tatsächlich wurde sie mit dem Sammeltransport am 27.9.1942 nach Theresienstadt deportiert. (DepL II, Nr. 1024). Sie starb am 20.2.1943 68-jährig  in Theresienstadt (Standesamt Aarolsen und auch BAK: ZSg 138)

Quellen: Adressbücher, KEM, FrB 40, DepL II, BA

Primo Levi

Sch’ma

Ihr, die ihr sicher wohnt
In euren gewärmten Häusern,
Ihr, die ihr bei der Heimkehr am Abend
Warmes Essen findet und Freundesgesichter.

Fragt, ob das ein Mann ist:
Der arbeitet im Schlamm
Der kennt keinen Frieden
Der kämpft um ein Stück Brot
Der stirbt auf ein Ja, auf ein Nein hin.

Fragt, ob das eine Frau ist:
Kahlgeschoren und ohne Namen
Ohne Kraft der Erinnerung mehr
Leer die Augen und kalt der Schoß
Wie eine Kröte im Winter.

Denkt, dass dieses gewesen:
Diese Worte gebiete ich Euch.
Ins Herz schärft sie euch ein,
Wenn ihr im Haus seid oder hinausgeht,
Wenn ihr euch niederlegt oder erhebt:
Sprecht sie wieder und wieder zu euren Söhnen.
Sonst sollen eure Häuser zerbersten,
Krankheiten über Euch kommen,
Eure Nachgeborenen das Gesicht von euch wenden.

Die Steine liegen vor dem Haus Bärengasse 12.