Siegfried May (1885 – 1957), Eugenie May geb. Löwengardt (*1896), Werner Sigmund May (1921 – 2022)


Siegfried Mays Vater, der Lederhändler Samuel May (geb. 24.6.1847 in Groß-Karben, gest. 03.12.1886 in Osthofen, genannt Simon oder Sigmund oder Siegmund) war in der 2. Hälft des 19. Jh. nach Osthofen gekommen. Er heiratete Sophie geb. Tribus (7.9.1846 Abenheim – 21.11.1908 Osthofen). Sie wohnten im Haus des Schwiegervaters Siegmund Tribus (1816 Abenheim – 1880 Osthofen) im Dorfgraben 4 in Osthofen.

Siegfried May (*8.1.1885 in Osthofen) war der jüngste von 5 Geschwistern – diese waren Ludwig May * 25.10.1875 Osthofen, Markus (Max) May * 2.2.1877 in Osthofen, Hedwig May * 8.7.1881 in Osthofen (verheiratete Cassel/Kassel) und Olga Johannette May * 21.3.1883 in Osthofen (verheiratete Neu).

Noch im Dorfgraben 4 gründete die Familie eine Weinhandlung und Siegfrieds ältester Bruder Ludwig arbeitete dort schon früh mit. Sieben Jahre nach dem Tod des Vaters erwarb die Familie (in 1893) ein großes Grundstück mit Wohnhaus an der westlichen Grenze von Osthofen (Adresse Hauptstr. 128, heute Friedrich-Ebert-Str. 128) und zog samt Weinhandlung um. Die Firma hieß ab 1905 „Weinhandlung, Dampfbrennerei und Likörfabrik Sigmund May & Söhne“ und bestand dort lt. Brandkataster 34 Jahre lang bis 1939. Siegfried May und sein 10 Jahre älterer Bruder Ludwig führten die Geschäfte in der Hauptstr. 128, wo sie die Wirtschaftsgebäude im Laufe der Jahre beträchtlich ausbauten. Bis 1936 ist Familie S. May auch weiterhin als Eigentümerin des Grundstücks Dorfgraben 4 in Osthofen im Brandkataster eingetragen.

„S. May & Söhne“ war eine große und bedeutende Weinhandlung, Dampfbrennerei und Likörfabrik und die Familien Ludwig und Siegfried May angesehene Leute in Osthofen und Umgebung.

Nach dem Tod der Mutter Sophie May zog 1910 der ältere Bruder Ludwignach Worms, erst in die Ludwigstr. 6, dann in die Dalbergstraße 1 (heute Wasserturmstraße 1) und schließlich als Eigentümer in die Seidenbenderstraße 19 – ein großes 3-stöckiges Backsteinhaus mit Erker zur Kreuzung Seidenbenderstraße/Wasserturmstraße. Laut Brandversicherungsverzeichnis Worms war der Vorbesitzer Isidor Kiefer; Ludwig May ist von 1924 bis 1936 als Eigentümer eingetragen.

Siegfried Mayhatte sich 1912 nach Berlin abgemeldet und kam 1920 zurück (Walter Konrad, S. 66 u. 71). Ob er die ganze Zwischenzeit dort verbrachte, ist nicht bekannt. Er heiratete 1921 Eugenie Löwengardt geboren in Heilbronn. Das Ehepaar wohnte in der Hauptstr. 128 in Osthofen (Walter Konrad, S. 66 ff.) zusammen mit dem dritten Bruder Max (Markus) und dessen Frau Cäcilie (Cäcilia/Zilli/Lilli) May geb. Rosenberg (* 20.1.1892) aus Usingen.

1929 zogen auch Siegfried und Eugenie May nach Worms in eine großzügige Villa in der Siegfriedstraße 40 mit repräsentativem Runderker zur Ecke Renzstraße/Siegfriedstraße und Veranda zur Siegfriedstraße, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs; das Haus hatte 2 große Etagen mit je 6 Räumen. Auf dem Grundstück gab es Lagerräume, die Siegfried für die Weinhandlung nutzte. Laut Brandkataster war er ab 1932 Eigentümer des Hauses.

Bürgerliches Bauen“ Ferdinand Werner, S 185 und 186

Der Umzug der Brüder nach Worms markierte sicherlich deren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Höhepunkt. 1930 waren sie 55 und 45 Jahre alt. Die BrüderLudwig und Siegfried – nun beide Wormser Bürger – führten die Osthofener Firma S. May & Söhne auch in den 1930er Jahren weiter.

Für Siegfried und Eugenies Sohn Werner Sigmund May (* 19.12.1921) kam der Umzug schultechnisch ganz passend, da er Anfang der 1930er Jahre die nahegelegene Ober-Realschule Worms (Walter Konrad, S. 68) besuchte. Ab 1933 wurde es dann aber schwer für jüdische Kinder in öffentlichen Schulen und so hatte der junge Werner nicht mehr allzu viel von der großen Villa zwischen Bahnhof und Schule.

Die schon 1933 verordneten Boykott-Maßnahmen gegen Juden bekam sicher auch Familie May schnell zu spüren. Ende 1935 – Werner war 13 Jahre alt – musste er erleben, dass seinem Vater Siegfried und seinem Onkel Ludwig „unreelle Geschäftsführung“ vorgeworfen wurde und beide wegen „Anhaltspunkten für eine unreelle Geschäftsführung“ festgenommen wurden. Dieses Ereignis wurde von der lokalen Presse ausgeschlachtet und von der amtlichen Zeitung der NSDAP – dem „Oberbergischen Boten“ – in der Wochenendausgabe 9./10. November 1935 breitgetreten.

Oberbergischer Bote – Wochenendausgabe 9./10. November 1935

(Deutsches Zeitungsportal)

Sogar das regime-kritische „Pariser Tagblatt“, das von emigrierten Journalisten in Paris erschien, berichtete am Samstag, 9. November 1935 auf Seite 1 von diesem Vorfall – möglicherweise als Warnung.

Pariser Tagblatt – Le Quotidien de Paris en langue allemande, 9.11.1935

(Deutsches Zeitungsportal)

Siegfried wurde über ein Jahr im Gefängnis Zweibrücken festgehalten, die Frau seines Bruders Ludwig – Auguste (Gustel geb. Strauss/Strauß) – kam 1936 vorübergehend auch dort in Haft.

Das Regime erreichte seinen Zweck: 1936 verkaufte Bruder Ludwig May die Seidenbenderstraße 19 – festgehalten als Eigentümerwechsel im Brandversicherungsverzeichnis Worms – und auch das seit dem Großvater in Familienbesitz befindliche Osthofener Wohnhaus im Dorfgraben 4 „wechselte“ gemäß Brandkataster Osthofen im gleichen Jahr den Eigentümer; Ludwig und Siegfried May haben diese Häuser sicher nicht freiwillig verkauft.

In diesen Zeiten sorgte sich die Familie Siegfried May natürlich um den Sohn Werner und so wurde er 1936 – während sein Vater noch in Zweibrücken inhaftiert war – als 14-Jähriger nach Brüssel zum Bruder seiner Mutter geschickt. Der Onkel ging offensichtlich von einem Daueraufenthalt aus und wollte, dass sein Neffe einen technischen Beruf erlernte; dieser entschied sich aber dafür, Koch zu werden. Werner kam mit 16 Jahren nochmal kurz zurück nach Worms, bevor er dann im April 1938 nach Montevideo, Uruguay auswanderte – so ist es der Dokumentation von A. und K. Schlösser zu entnehmen. Sein Sohn Roberto gibt in der Korrespondenz 2024 hingegen an, dass Werner bis zur deutschen Invasion (Mai 1940) in Brüssel blieb und dann mit seinem Onkel über Bordeaux nach Uruguay floh, wohin sich schon andere Verwandte durchgeschlagen hatten.

Zurück zu Siegfried May und 1936. Im Gefängnis Zweibrücken erreichte ihn die schriftliche Anfrage der in der Winzergenossenschaft Osthofen zusammengeschlossenen Winzer. Sie fragten bei dem Inhaftierten an, ob sie sein Wohnhaus und die Betriebsgebäude in der Hauptstraße 128 in Osthofen erwerben könnten (StA Osthofen: Dokument 2787). Über eine Zustimmung ist nichts bekannt, aber dem Brandkataster Osthofen ist zu entnehmen, dass das Grundstück von S. May & Söhne 1939 tatsächlich an die Winzergenossenschaft Osthofen ging.

Am 17.6.1938 kam Siegfried May wieder in Haft – dieses Mal in „Vorbeugehaft“ – und zwar in Heilbronn; nachdem er in der Region Worms als Häftling schon öffentlich gebrandmarkt war, erfolgte das nun in Heilbronn, der Geburtsstadt seiner Frau Eugenie; das Regime betrachtete ihn also als potentiell „rückfällig“, deshalb „Vorbeugehaft“.

Die Jagd ging weiter: Die nächste Station war das KZ Buchenwald. Den ITS Arolsen Archives (Doc 659692) ist zu entnehmen, dass er von September 1938 bis April 1939 dort eingesperrt war. Ob er aus Worms eingeliefert wurde oder sogar aus Dachau ist aus der Einlieferungskarte nicht klar ersichtlich. Wieder bekommt er Post in die Haft. In einem kurzen Schreiben fordert seine Frau Eugenie ihn – den Häftling Nr. 9460 – auf, ihr ein beigefügtes Dokument zu unterschrieben und umgehend zurückzuschicken. Das Dokument war höchstwahrscheinlich die Verkaufsurkunde für das Wormser Wohnhaus, Siegfriedstr. 40.

ITS Arolsen, Doc 6596994_Eugenie an Siegfried May, 1939

Ihr Schreiben wurde am 18. Januar 1939 als „Eingang“ und einen Tag später als „abgesandt“ registriert. Noch im gleichen Monat musste die Familie die Villa in der Siegfriedstraße 40 räumen.

Die Familie zog vorübergehend in die Gutenbergstraße 27 und das Wohnhaus in der Siegfriedstraße gehörte ab 1940 dem Deutschen Reich; dort wurde dann die Polizeiverwaltung untergebracht. Während der Bombenangriffe auf Worms wurde die Villa stark zerstört und schließlich abgerissen.

Siegfried und seine Frau Eugenie meldeten sich gemäß der Dokumentation Schlösser im September 1939 von Worms nach Brüssel ab. Der Enkel Roberto May schildert in der Korrespondenz, dass Siegfried dann ziemlich schnell – noch vor seiner Frau – nach Uruguay emigrierte. Eugenie begleitete ihren alten Vater bis zu seinem Tod und floh dann mit einem der letzten Schiffe nach Uruguay. Siegfried und Eugenie lebten bis zu ihrem Tod dort, er starb 1957, sie einige Jahre vor ihm.

Werner (Siegmund) May arbeitete nach seiner Flucht zunächst in Uruguay als Koch. Nach seiner Heirat ging er nach Rio de Janeiro in Brasilien und arbeitete dort als Geschäftsmann. Er starb 2022 im Alter von 100 Jahren.

Werners Sohn Roberto May ist sehr dankbar für den Stolperstein, konnte aber aus persönlichen Gründen nicht zur Verlegung kommen.

Werners Großcousine Gladis Blumental und Familie (sie leben in Brasilien), haben 2023 Osthofen und Worms besucht – auf den Spuren ihrer Großmutter Olga Johannette May verheiratete Neu, einer Schwester von Siegfried May.

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Quellen:

StA Worms, Abt. 170/32 Dokumentation Schlösser

StA Osthofen, 3179–3181 Brandkataster Anhang / 3182-3183 Brandkataster zu Dorfgraben 4 und Hauptstraße 128

StA Worms, Abt. 5, 8.022 Brandversicherungsverzeichnis zu Seidenbenderstraße 19 und Siegfriedstraße 40

Walter Konrad: Osthofener Geschichtsblätter – Zur Erinnerung an unsere früheren Jüdischen Mitbürger, 2008

Ferdinand Werner: Bürgerliches Bauen, 1924

Deutsches Zeitungsportal für „Oberbergischer Bote“ 9.11.1935 und „Pariser Tagblatt“ 9.11.1935

Korrespondenz zwischen Werner Mays Sohn Roberto May und Inga May in 2023/2024

StA Osthofen, Dokument 2787_Anfrage d. Winzergenossenschaft vom 21.11.1936

ITS Arolsen Archives, Doc 659692 und Doc 6596994

Die Steine liegen vor dem Haus Siegfriedstr. 40.