2024

Rückblick

Dieser Artikel zu umgekippten Grabsteinen auf dem Heiligen Sand könnte Sie interessieren:

Am 2.4.2024 schrieb unser Vereinsmitglied Ulrike Schäfer folgenden Artikel in der Wormser Zeitung:

„Absperrband als Lösung“

„Absperrband als Lösung Niemand kümmert sich um den auf dem Heiligen Sand umgefallenen Granit-Grabstein der Familie Kuhn / Jetzt weiterer Stein umgekippt Von Ulrike Schäfer WORMS. Der Heilige Sand liegt in der warmen Frühlingssonne. Zart schimmern die Blätter der alten Bäume. Das Gras, sorgfältig gepflegt, leuchtet in saftigem Grün. Einzelne Besucher folgen den Wegen, bleiben da und dort stehen, um sich in das schöne Bild zu vertiefen, genießen die Ruhe, die die ehrwürdige Begräbnisstätte ausstrahlt. Dr. Josef Mattes, ehemaliger Vorsitzender des Altertumsvereins, der mit diesem Ort bestens vertraut ist, geht an diesem Nachmittag aus einem besonderen Grund hierher. Er will nachschauen, ob der große schwarze Granit-Grabstein der Familie Kuhn, der umgestürzt war und dabei den Stein davor verschoben hat, wiederaufgerichtet ist. 1673 Grabsteine auf älterem Friedhofsteil sind erfasst Lange bevor die SchUM-Stätten 2022 als Unesco-Welterbe anerkannt wurden, hat sich der Altertumsverein intensiv für den Erhalt und die Erforschung des Friedhofs eingesetzt und dafür auch erhebliche Mittel aufgewendet, denn der Heilige Sand ist wegen seines Alters – der älteste bisher entdeckte Grabstein stammt aus dem Jahr 1058/1059 –, wegen der Jahrhunderte langen, ununterbrochenen Belegung, den Grabmälern berühmter Persönlichkeiten und wegen des beispiellos reichen Inschriftenmaterials nicht nur für die jüdische Welt von großer Bedeutung. Dass dieses wertvolle Material erschlossen wird und erhalten bleibt, war schon früheren Generationen ein Anliegen. 1854 erfasste der Rabbiner und Historiker Ludwig Lewysohn eine Auswahl von Inschriften auf den Grabsteinen. Julius Rosenthal und Samson Rothschild führten ab 1893 die Arbeit fort beziehungsweise vertieften sie. Durch sie wissen wir von Steinen, die heute nicht mehr existieren. In den letzten 20 Jahren hat sich der Judaist, Professor Dr. Michael Brocke vom Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen, damit beschäftigt und sämtliche noch vorhandenen 1673 Grabsteine auf dem älteren Teil des Friedhofs erfasst und, soweit es wegen fortschreitender Verwitterung möglich war, auch entziffert. Diese Arbeit war nur erfolgreich, weil Mitglieder des Altertumsvereins und des Vereins Warmaisa mehrfach mit warmem Wasser und weichen Bürsten Moos und Flechten von vielen Grabsteinen entfernten, sodass sie fotografier- und lesbar waren. „Wir haben das immer in Absprache mit Jüdischen Gemeinde Mainz, zu der auch Worms gehört, gemacht und auch mit der Denkmalpflege abgeklärt“, sagt Josef Mattes. „Rabbiner Aharon Vernikovsky hatte auch nie Einwände.“ Doch heute will niemand mehr etwas davon wissen. Seit der Antragstellung auf Welterbe sei die Reinigung der Steine nicht mehr erlaubt, bedauert Mattes. Man begründe das mit der jüdischen Vorschrift, Veränderungen an den Steinen würden die Totenruhe stören. Ob das eine Tradition oder ein im jüdischen Gesetz festgelegtes Gebot sei, wisse er nicht. Längst sind die Steine wieder mit Moos überzogen. „Das ist vor allem so der Fall bei den Grabmalen vor dem Wall, auf dem sich der neuere Teil des Friedhofs befindet“, erläutert Mattes. „Hier staut sich die Feuchtigkeit, was zur raschen Vermoosung beiträgt.“ Doch noch mehr als der erneute Bewuchs der Steine bekümmert den 85-Jährigen, dass umgefallene Steine nicht wieder aufgerichtet werden wie das Grabmal der Familie Kuhn. Es liegt immer noch im Gras, wie er enttäuscht feststellt. Man kann nicht einmal lesen, um welche Kuhns es sich handelt, weil der Stein mit der Schriftseite nach unten liegt. Er habe sich schon an alle möglichen Stellen mit der Bitte um Abhilfe gewendet, erzählt Mattes, aber nichts sei passiert. Man hat die Gefahrenstelle lediglich durch ein Absperrband gesichert. Sandstein der Witwe des Märtyrers Mosche Halevi Auf dem Rückweg entdeckt Mattes einen weiteren Stein, der umgefallen ist. Dieses Mal handelt es sich um einen rötlichen Sandstein, der wohl kein Fundament hatte. Er wurde laut Brocke für die betagte Witwe Mina, die Tochter des Märtyrers Mosche Halevi, aufgestellt, die 1417 verstorben ist. Derzeit sind Umrandung und Inschrift wieder von Moos überwuchert. Auch das wird Mattes den verantwortlichen Stellen nun mitteilen und hofft, dass bald etwas geschieht. Die sämtlichen von Professor Brocke erfassten Steine sind mit Inschrift, Erläuterung und Foto im epidat-Archiv des Steinheim-Instituts zu finden. Die Forschungsergebnisse in Buchform, vom Altertumsverein finanziert, werden schon seit Längerem sehnsüchtig erwartet. Josef Mattes ist optimistisch, denn er hat die Zusage, dass die Publikation in nächster Zeit endlich erscheinen wird.“

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Ausflug der 10. Klassen der Karmeliter-Realschule plus zum KZ Struthof im Elsass am 14.03.2024

Artikel von Frau Joana Vogt, verantwortliche Lehrerin der Karmeliter-Realschule plus in Worms:

„Schüler der Karmeliter Realschule plus besuchen das KZ Struthof

Zur Zeit wird in den 10. Klassen der KRS+ das Thema Nationalsozialismus behandelt. Seit Beginn dieses Themas zeigten die Schülerinnen und Schüler ein großes Interesse an der gesamten Thematik. Auf Grund dessen knüpfte die Lehrerin Frau Vogt bereits am 9. November 2023 den Kontakt mit der Warmaisa e.V.  als zum Gedenktag der Reichskristallnacht die Stolpersteine in der Stadt von den Schülerinnen und Schülern gesäubert wurden. Als die Warmaisa erfuhr, dass eine Fahrt in KZ Struthof/Natzweiler geplant wird, wurde sich sofort bereit erklärt der Schule diese Exkursion komplett zu finanzieren.

Am 14. März 2024 fuhren nun die 10. Klässler nach Natzweiler und besuchten dort die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers. Von ihren Lehrern angeleitet, durchliefen die Schülerinnen und Schüler die Wege, welche die Häftlinge damals bewerkstelligen mussten und besuchten ehemalige Baracken, unter anderem die Krematoriumsbaracke und die Gefängnisbaracke. Die Lernenden waren an manchen Stellen sehr betroffen, stellten aber auch sehr viele Fragen. Besonders das Haus des ehemaligen Kommandanten, zu welchem ein großes Schwimmbad gehörte, zeigte den Schülerinnen und Schülern die Grausamkeit dieses Ortes auf: „Wie konnte man Party machen, wenn nebenan Menschen gequält und getötet wurden?“. 

Wir als Schule bedanken uns bei der Warmaisa e.V. Worms für die Finanzierung dieser Exkursion und auch bei Frau May, die uns an diesem Tag begleitete und den Schülerinnen und Schülern viele Fragen beantwortete.“

Foto: Joana Vogt

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„Alter und neuer Antisemitismus – von den Protokollen der Weisen von Zion bis zur Charta der Hamas“ mit Prof. Dr. Andreas Lehnardt

Am 1.2.2024 schrieb Ulrike Schäfer in der Wormser Zeitung dazu folgenden Artikel:

Professor klärt über Ursprünge des Antisemitismus auf

Von Ulrike Schäfer

WORMS. Am liebsten hätte Dr. Andreas Lehnhardt, Professor für Judaistik der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Universität Mainz, darüber gesprochen, welche Bereicherung die Juden über Jahrhunderte für Deutschland waren; der Verein Warmaisa hatte ihn jedoch eingeladen, um über den Ursprung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und sein aggressives Auftreten nach dem 7. Oktober 2023 zu sprechen. Das Thema interessierte so sehr, dass zur Freude des Vereinsvorsitzenden Patrick Mais im Liebfrauensaal des Kulturzentrums sogar noch weitere Stühle gestellt werden mussten.

Lehnhardt schickte voraus, dass er den Begriff Antisemitismus, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, nicht für sehr passend halte. Die Phobie gegen Juden sei zutreffender mit Judenhass zu bezeichnen. Sie sei wie eine kulturelle Psychose, die leider nicht in einer Generation zu beheben sei. Sie lasse sich allenfalls eindämmen.

Im Zentrum seines Vortrags standen die 1868 erstmals veröffentlichten „Protokolle der Weisen von Zion“. Es handelt sich um ein Sammelwerk, dessen Kern aus dem Buch „Biarritz“ von Sir John Ratcliffe (Hermann Goedsche) stammt. Geschildert wird darin eine fiktive jüdische Geheimkonferenz auf dem Friedhof in Prag, die Beschlüsse fasst, um die jüdische Weltherrschaft zu erringen. Zwar wurde das Pamphlet eindeutig als böswillige Fälschung entlarvt, doch es verbreitete sich trotzdem rasch. 1878 erschien es in russischer Sprache. Die erste deutsche Übersetzung besorgte 1919 Gottfried zur Beek (Pseudonym des Ludwig Müller).

Pamphlet von 1868 führte zu Verschwörungstheorien

Allein zwischen 1920 und 1938 brachte es diese Version auf 22 Auflagen. Der NS-Welt-Dienst nutzte den Kern des Falsifikats, um eine gefährliche Verschwörungslegende zu konstruieren, die die Ängste der Menschen schürte. So wurde behauptet, die Juden hätten große Städte untertunnelt, um sie, wenn die Zeit gekommen sei, in die Luft zu sprengen.

Die „Weisen“ wurden von Europa aus in den arabischen Staaten weit verbreitet. Im Artikel 22 der Charta der Hamas von 1988 finden sich Sätze, wie: Die Juden hätten gewaltige Reichtümer angehäuft, um ihren Traum (von der Weltherrschaft) zu verwirklichen. Sie kontrollierten die Weltpresse und zettelten in verschiedensten Teilen der Erde Revolutionen an, um ihr Ziel zu erreichen. Seit 2017 gibt es zwar eine neue Charta der Hamas, so Lehnhardt, die alte gelte aber weiterhin.

Der Israelkenner führte im Einzelnen aus, wo die Fälschung, oft verwoben mit Sätzen eines orthodox interpretierten Korans, kursiert. Bis heute finden die Texte auch bei in Deutschland lebenden Palästinensern und der extrem Rechten Verbreitung. 2006 waren sie auf der Frankfurter Buchmesse und 2023 angeblich aus Versehen im Schaufenster des Zentralrats der Palästinenser in Berlin ausgelegt.

Im Anschluss an den Vortrag Lehnhardts wurden viele Fragen zur aktuellen Situation in Nahost gestellt. Der Referent erwies sich auch hier als kompetenter Kenner. Wunsch mancher Zuhörer: Dass er bald wiederkommt, um über die jüdische Blütezeit in Worms zu sprechen.“

Der Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 und seine Folgen lassen sich noch nicht recht einordnen und Vergleiche mit vorangegangenen Verbrechen werfen allesamt Fragen auf. Von verschiedener Seite wurde dabei betont, dass im Verlauf der von der Hamas initiierten Massaker an einem Tag so viele Jüdinnen und Juden ermordet wurden wie an keinem anderen Tag seit der Shoah. Ist es angesichts dieses Vergleichs und eingedenk der aktuellen Folgen des Angriffs überhaupt möglich, wie in den vergangenen Jahren einfach der Opfer des Holocaust zu gedenken, ohne auf die Verbrechen an Jüdinnen und Juden Bezug zu nehmen? Der Beitrag von Prof. Andreas Lehnardt, Inhaber des Lehrstuhls für Judaistik an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, möchte auf einige aktuelle Aspekte des alten europäischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts eingehen, und sie mit Motiven und Stereotypen in Schriften und Äußerungen der Hamas und anderer palästinensischer Organisationen sowie populären arabischen TV-Serien in Beziehung setzen. Ausgehend von den ominösen Protokollen der Weisen von Zion, die aus einer Fälscherwerkstatt des zaristischen Geheimdienstes stammen und die vermeintliche Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft skizzieren, soll den Motiven für den erneut auch auf den Straßen und Plätzen in Deutschland sichtbaren Judenhass nachgegangen werden. Welche Ideen und Vorstellungen können als Erklärungsrahmen für den grausamen Ausbruch von Hass und Gewalt herangezogen werden? Lassen sich Zusammenhänge rekonstruieren, wenn in (einer Version) der Charta der Hamas aus dem Jahr 1988 auf die erwähnten Protokolle Bezug genommen wird – alte islamische Traditionen vom Zusammenleben mit den „Schriftvölkern“ jedoch vergessen scheinen?

Text von Prof. Andreas Lehnardt

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